Historie

Zur Entstehungsgeschichte der Bayreuther Festspiele

Erste Wahl war Bayreuth nicht. Als Richard Wagner seine Festspielidee 1850 grob skizzierte, kreisten seine Gedanken um Zürich oder Weimar, später auch um München. Zwanzig Jahre vergingen, bis er im Konversationslexikon den Namen des fränkischen Kleinods „googelte“, Hans Richter hatte ihn auf das leer stehende Markgräfliche Opernhaus der Stadt Bayreuth aufmerksam gemacht. Ein Jahr später folgte der erste Besuch der Stadt. Das Haus erwies sich für den Zweck der Ring-Aufführung als ungeeignet, aber Bayreuth gefiel dem Komponisten. Am 22.5.1872 erfolgte die Grundsteinlegung, doch der Bau kam kurz darauf ins Stocken: Der Versuch, das heutige Festspielhaus als „Crowdfunding-Projekt“ zu errichteten, scheiterte. Am Geld. Erst als König Ludwig II. die benötigten Mittel per Kredit bereitstellte, nahm der Bau endlich Fahrt auf, sodass am 13. August 1876 die ersten Bayreuther Festspiele beginnen konnten.

Die Festspielidee

„Ich denke daran, den Siegfried wirklich noch in Musik zu setzen, nur bin ich nicht gesonnen, ihn auf’s geradewohl vom ersten besten Theater aufführen zu lassen: im Gegenteil trage ich mich mit den allerkühnsten Plänen […] Dann würde ich nämlich hier […] nach meinem Plane aus Brettern ein Theater errichten lassen, die geeignetsten Sänger dazu mir kommen und alles Nötige für diesen einen besonderen Fall mir so herstellen lassen, dass ich einer vortrefflichen Aufführung der Oper gewiß sein könnte.“
Richard Wagner an Ernst Benedikt Kietz (1816 – 1892), 14. September 1850

Der 1813 in Leipzig geborene Richard Wagner sammelte seine ersten Theatererfahrungen in Magdeburg, Königsberg und Riga, wo er von 1837 bis 1839 als erster Kapellmeister angestellt war. Der dortige Theaterbau, von manchen Musikern abfällig „Scheune“ genannt, beeindruckte ihn durch seine Schlichtheit. Der Biograf Carl-Friedrich-Glasenapp erwähnt, Wagner habe gegenüber einem Musiker rückblickend erzählt, drei Dinge seien ihm in der Erinnerung geblieben:  „Erstlich das stark aufsteigende, nach Art eines Amphietheaters sich erhebende Parkett, zweitens die Dunkelheit des Zuschauerraumes und drittens das ziemlich tief liegende Orchester. Wenn er je einmal dazu käme, sich ein Theater nach seinen Wünschen zu errichten, so werde er diese drei Dinge dabei in Betracht ziehen.“

1846 wurde Richard Wagner zum königlich sächsischen Hofkapellmeister ernannt. Vorausgegangen waren die überaus erfolgreiche Uraufführung des Rienzi und die des Fliegenden Holländers. Er kam in Dresden in Kontakt mit revolutionären Strömungen, beschäftigte sich mit anarchistischen Thesen und formulierte in diesem gesellschaftlichen Umfeld Thesen zur Veränderung des Theater- und Kunstbetriebes. Nachdem er sich 1849 aktiv an den Aufständen in der Stadt beteiligt hatte, musste der nunmehr steckbrieflich Gesuchte über Nacht aus Deutschland fliehen. Im Schweizer Exil entwarf er seine Vision vom „Gesamtkunstwerk der Zukunft“ – und skizziert gegenüber E. B. Kietz erstmals seine Festspielidee. Auf dem Schreibtisch lag auch eine Schrift aus seinen Dresdner Jahren: eine 1848 entstandene Prosavorstudie mit dem Titel „Die Nibelungensaga“.

Foto Bayreuther Festspielhaus vor 1882 (ohne Königsbau) (c) RWA Nationalarchiv Bayreuth

Bayreuther Festspielhaus vor 1882 (ohne Königsbau), (c) RWA Nationalarchiv Bayreuth

Das Ringen um den Ring

„Ich beabsichtige meinen Mythos in drei vollständigen Dramen vorzuführen, denen ein großes Vorspiel vorauszugehen hat. Mit diesen Dramen, obgleich jedes von ihnen allerdings ein in sich geschlossenes Ganzes bilden soll, habe ich dennoch keine „Repertoirestücke“ nach den modernen Theaterbegriffen im Sinne, sondern für ihre Darstellung halte ich folgenden Plan fest: — An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzuführen: den Zweck dieser Aufführung erachte ich für vollkommen erreicht, wenn es mir und meinen künstlerischen Genossen, den wirklichen Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern, die um meine Absicht kennenzulernen sich versammelten, diese Absicht zu wirklichem Gefühls- (nicht kritischen) Verständnisse künstlerisch mitzuteilen. Eine weitere Folge ist mir ebenso gleichgültig, als sie mir überflüssig erscheinen muss.“
Richard Wagner, Eine Mitteilung an meine Freunde, 1851

Der Ankündigung des Ringes folgte ein halbes Jahr später der „kulturpolitische Background“: An Theodor Uhlig formulierte Wagner eine Festspielidee, die sich auch als eine Art Götterdämmerung lesen lässt: „An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken: Erst die Revolution wird mir die Künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Revolution muss notwendig unsrer ganzen Theaterwirtschaft das Ende bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich… Aus den Trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich, was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf, und lade zu einem großen dramatischen Feste ein: nach einem Jahre Vorbereitung führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf: mit ihm gebe ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen.“

Die persönlichen Folgen seiner Beteiligung an der 48/49er Revolution in Dresden wurden erst 1862 gemildert, als der König von Sachsen eine Amnestie erließ. Auf der Flucht blieb der Komponist trotzdem: diesmal waren es Steuerfahnder und Gläubiger, die Wagner zusetzten. Zwar hatten die Pläne eines künftigen Festspieles und des dazu gehörigen Theaters konkrete Formen angenommen, an eine Umsetzung war indessen nicht zu denken. Die Finanzierung sollte über private Gönner erfolgen – hier blieb Wagner Utopist. Die Rettung aus der Fehlkalkulation erfolgte, wenig revolutionär, durch König Ludwig II., seinen künftigen Mäzen. Er berief Wagner nach München und wollte ihm dort ein Festtheater errichten, in dem der Ring des Nibelungen aufgeführt werden sollte. Gottfried Semper wurde als Architekt angeworben.

Foto Bayreuther Festspiele 1876, Rheingold, Wotan, Figurine von E. Doepler, Nationalarchiv Bayreuth

Bayreuther Festspiele 1876, Rheingold, Wotan, Figurine von E. Doepler, (c) RWA Nationalarchiv Bayreuth

Geldnot und Grundsteinlegung

„Meine Freunde und werten Gönner! Durch Sie bin ich heute auf einen Platz gestellt, wie ihn gewiß noch nie vor mir ein Künstler einnahm. Sie glauben meiner Verheißung, den Deutschen ein ihnen eigenes Theater zu gründen, und geben mir die Mittel, dieses Theater in deutlichem Entwürfe vor ihnen aufzurichten.“
Richard Wagner bei der Grundsteinlegung, 22. Mai 1872

Sempers Ideen sahen anfangs vor, in den Münchner Glaspalast ein logenfreies Theater einzubauen, Ludwig II. drängte dagegen auf einen Monumentalbau an der Isar. Konkreter wurden die Pläne nicht, auch, weil Richard Wagner die Kontrolle über das Projekt behalten und einen zweckmäßigen amphietheaterähnlichen Bau errichten wollte. 1871 kam er erstmals, nach einer Empfehlung Hans Richters, ins fränkische Bayreuth. Hier besuchte er das ihm zur Ring-Aufführung empfohlene Markgräfliche Opernhaus und musste dabei feststellen, dass der Zuschauerraum für sein Projekt zu klein geraten war. Doch an der Stadt fand er Gefallen – und die an ihm. Zur Realisierung seiner Festspielhausidee bekam er das Grundstück in der Vorstadt St. Georgen geschenkt. Die architektonische Planung des Hauses übernahm Otto Brückwald, Wagner selbst kümmerte sich um die Finanzierung – mit schwankendem Erfolg. Ein schon 1870 gegründeter Patronatsverein sollte 300.000 Taler aufbringen, um den Bau des als Provisorium geplanten Theaters und die Kosten der Aufführungen ab zu sichern. Die Grundsteinlegung erfolgte am 22. Mai 1872, zu diesem Anlass dirigierte Richard Wagner im Markgräflichen Opernhaus Beethovens neunte Sinfonie. Fünfzehn Monate später, zum Richtfest im August 1873, kündete ein großes Feuerwerk über der Stadt vom künftigen Festspielhaus.

Das Festspielhaus im Bau

Es dauerte vier Jahre, bis der Bau vollendet wurde. Was für heutige Zeit atemberaubend schnell klingt, wuchs sich für Wagners Baupläne beinahe zum Desaster aus. Mehrfach drohte der Bau zu scheitern, Handwerker konnten nicht mehr bezahlt werden, das Interesse potentieller Festspielgäste blieb hinter den Erwartungen zurück. Ludwig II. ließ Geldanfragen seines verehrten Komponisten lange Zeit unbeantwortet, bis er 1874 doch einen Kredit gewährte (nach heutigem Maßstab über etwa 1,7 Mio Euro; dieser wurde von der Familie Wagner bis 1906 vollständig zurück bezahlt). Im November 1874 wurde mit der Götterdämmerung die Komposition des Ring des Nibelungen vollendet, im darauffolgenden Sommer begannen die Proben zur ersten zyklischen Gesamtdarstellung.

13.8.1876: Vollendet das ewige Werk

„Ich habe nicht geglaubt, daß Sie es zustande bringen würden“, – sagte mir der Kaiser. Von wem aber ward dieser Unglaube nicht geteilt? …Wenn ich mich ernstlich frage, wer mir dieses ermöglicht hat, daß dort auf dem Hügel bei Bayreuth ein vollständig ausgeführtes großes Theatergebäude, ganz nach meinen Angaben, von mir errichtet steht, welches nachzuahmen der ganzen modernen Theaterwelt unmöglich bleiben muß, sowie daß in diesem Theater die besten musikalisch-dramatischen Kräfte sich um mich vereinigten, um einer unerhört neuen, schwierigen und anstrengenden künstlerischen Aufgabe freiwillig sich zu unterziehen, und sie zu ihrem eigenen Erstaunen glücklich zu lösen, so kann ich in erster Linie mir nur diese verwirklichenden Künstler selbst vorführen…“
Richard Wagner im Rückblick auf die ersten Festspiele

Erfolg sieht anders aus: Die ersten Festspiele (mit drei Ring-Zyklen) endeten in einem finanziellen Desaster mit ca. 1,1 Mio Euro Defizit. Das Festspielhaus stand daraufhin sechs Jahre leer. Doch künstlerisch steckte Richard Wagner nicht auf, zudem handelte er mit München einen Finanzierungsvertrag aus: Die Bayreuther Festspiele erhielten ein verzinstes Darlehen über ca. 750.000 Euro, das aus Tantiemen der Münchner Wagner-Aufführungen zurückgezahlt wurde. Wagner kündigte für Bayreuth die Aufführung sämtlicher Hauptwerke an – durchgesetzt nach seinem Tod von Cosima Wagner ab 1886. Wagners letztes Werk Parsifal kam am 26.7.1882 bei den zweiten Bayreuther Festspielen zur Uraufführung. Ein halbes Jahr später verstarb Richard Wagner in Venedig. Sein Grab befindet sich im Garten des Hauses „Wahnfried“ in Bayreuth.

Foto Gedenktafel im Foyer des Bayreuther Festspielhauses, Bayreuther Festspiele 1876, (c) RWA Nationalarchiv Bayreuth, Foto: Jörg Schulze

Gedenktafel im Foyer des Bayreuther Festspielhauses, Bayreuther Festspiele 1876, (c) RWA Nationalarchiv Bayreuth