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Ansprache zur Verabschiedung Wolfgang Wagners am 28. August 2008

Lieber, hochverehrter Herr Wagner,
verehrte Gäste aus alter und aus neuer Zeit!

Wir alle sind hier zusammengekommen, um Ihnen, lieber Herr Wagner, unsere Reverenz zu erweisen, um Ihnen unseren Respekt zu zollen und um Ihnen von ganzem Herzen zu danken. „Leider lässt sich eine wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken“, meinte Goethe. Ich versuche es trotzdem.

Wenn der Begriff ‚Lebenswerk‘ auf ein Jahrzehnte umspannendes Kontinuum unermüdlicher Tätigkeit für eine Sache zutrifft, so ganz unbedingt auf Ihr Lebenswerk, die Bayreuther Festspiele, lieber Herr Wagner, die Sie 58 Jahre lang in jeder nur erdenklichen Hinsicht leiten, die Sie geprägt und geformt haben wie kein anderer. Vor Ihrem Amtsantritt hatten seit dem Beginn 1876 lediglich 39 Festspiele stattgefunden. 58 Jahre – das ist nun deutlich mehr als ein halbes Menschenalter, und es gibt unter uns wohl nur wenige, die sich überhaupt noch an eine andere Festspielleitung erinnern können, als an die, welche 1951 gemeinsam mit Ihrem Bruder begann und nach dessen frühem Tod von Ihnen 42 Jahre lang alleinverantwortlich ausgeübt wurde. Nicht zuletzt darum werden Sie und die Festspiele im allgemeinen Bewusstsein seit langem vollständig miteinander verschmolzen in einer ebenso einzigartigen wie absoluten Identifikation. Wie kein Zweiter verkörpern Sie die Bayreuther Festspiele, Persönlichkeit und Institution fallen gleichsam in eins. Für die einen ist gerade dieser besondere Umstand stets das Ideale gewesen, für andere war es das herausfordernd Anstößige, mit dem sie hadern mussten.

Uns, die wir Sie, lieber Herr Wagner, über längere oder kürzere Distanzen vor, auf und hinter der Bühne ein Stück weit begleiten und unterstützen durften, erfüllt es mit Freude, darf ich wohl sagen, dass wir dabei sein und unseren Weg mit Ihnen gemeinsam gehen konnten. Und es erfüllt uns mit Dankbarkeit für Sie, der Sie uns alles in einem waren: der Prinzipal, der Chef und nicht zuletzt auch eine Vaterfigur – keine von übermenschlicher oder gar furchteinflößender Dimension, vielmehr das genaue Gegenteil, nämlich zutiefst menschlich und verständnisvoll, um den einzelnen nicht minder besorgt als ums Ganze. Dabei unprätentiös, pragmatisch und mit einem eminent untrüglichen Gespür ausgestattet für das praktisch Machbare und Nötige. Jeder, der mit Ihnen auch bloß einige Zeit zu tun hatte, könnte dazu bestimmt seine ganz eigene Geschichte erzählen, es würde Bände füllen. Nichts Menschliches war und ist Ihnen fremd. Es fällt keineswegs leicht, sich daran gewöhnen zu sollen, fortan ohne Ihren unmittelbaren  weltklugen Beistand und Rat auszukommen. Es klingt so schrecklich abgenutzt und ist gleichzeitig wahr: Sie werden uns fehlen, wir werden Sie vermissen.

Dass Sie eine der letzten großen Gestalten des deutschen Kultur- und Theaterlebens sind, haben Sie wohl unzählige Male ebenso gehört wie die Bezeichnungen als „Nestor der Theaterleiter“ und „Patriarch“. Solch pathetischer Verklärung und Überhöhung begegneten Sie stets mit leisem Spott und jenem urgesunden Realismus, der es mit sich brachte, dass Sie unangefochten fest in Ihrem fränkischen Boden wurzeln und sich nicht in irgendeinem Wolkenkuckucksheim einrichteten. Dieser zugleich findige und klare Wirklichkeitssinn bewirkte gewiss entscheidend mit, dass es die Festspiele demnächst zum 100. Mal geben soll. Und er verhinderte, dass Sie sich ‚aufopferten‘, denn nichts weniger möchte zu Ihnen passen als eine ‚Opferrolle‘. Mit welcher Freude – ohne Leichtsinn -, mit welcher Leidenschaft – ohne jeden Anflug von Besessenheit – Sie Ihr oft genug vertracktes Amt als Festspielleiter ausfüllten, ob nun im Alltag oder zur Festspielzeit, Jahr um Jahr, – das ist in der Tat exemplarisch zu nennen.
Doch bei aller Toleranz und Liberalität gerade gegenüber künstlerischen Auffassungen und Ansprüchen, waren Sie unnachsichtig und sehr ungemütlich bei Nachlässigkeiten, bei Schlamperei und Gleichgültigkeit und beim geringsten Anzeichen einer Menschenverachtung. Sie haben sich einfach um alles und um jeden gekümmert, gütig und streng, manchen mochte das lästig fallen. Und Sie lebten solch inzwischen scheinbar obsolet gewordene und häufig belächelte Tugenden wie Pflichtgefühl, Disziplin und Verantwortung, ohne dies besonders herauszustreichen. Exakt das aber macht Sie zum Vorbild.

Lieber Herr Wagner, ich erlaube mir, paradoxerweise den Begriff des ‚Unzeitgemäßen‘ auf Sie anzuwenden, den Sie, wie ich glaube, in wunderbarer Weise verkörpern, obwohl Sie doch in Zeit und Raum der Gegenwart verankert sind. Unzeitgemäß versteht sich jedoch als Eigenschaft, mit seinem ganzen Wesen „gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zugunsten einer kommenden Zeit – zu wirken.“ So definierte es Nietzsche. – Sie sind ungebeugt vom platten Zeitgeist und haben sich von ihm nie korrumpieren lassen. Sie sind ein durch und durch authentischer Mensch, der geradlinig seinen Weg gegangen ist. Das ist aller Ehren wert und auch dafür ist Ihnen reichlich zu danken.

In Ihrer Autobiographie schrieben Sie: „Ich darf ohne Übertreibung behaupten, mich in meinem Leben nicht gefürchtet zu haben, gefürchtet im Sinne von Existenzangst, Unterlegenheit und Kapitulation, im Sinne von Kleinmütigkeit und Verzagen. … In meiner Position als Festspielleiter empfand und empfinde ich mich als Mediator und Moderator, in dessen ursprünglicher Bedeutung, als einer, der in der Werkstatt Bayreuth nichts und niemanden zusammenzwingt, vielmehr zusammenbringt, um ein wechselseitig fruchtbares künstlerisches Spannungsfeld immer aufs neue sich erzeugen zu lassen. … Neben zahlreichen anderen Fähigkeiten und Fertigkeiten bedarf es zweier Eigenschaften in der Ausübung meiner Tätigkeit ganz besonders, die glücklicherweise in meiner physischen und psychischen Konstitution angelegt sind: gute Nerven und Humor.“ – Eine treffende Selbstcharakteristik, der im Grunde nichts hinzuzufügen ist.

Lieber Herr Wagner, Sie sind Ihr gesamtes Leben und Wirken lang ein Mann des Theaters gewesen und haben dessen „Pfuhl von Schrecknissen und Hoheiten“, wie Ihr Großvater das nannte, in jeder Richtung durchmessen. Nun werden Sie die Bühne verlassen. Dies ist für uns alle ein bewegender, ergreifender, ja auch trauriger Augenblick, denkwürdig und erinnerungsvoll. Denn damit wird keine Intendanz nur beendet, geht nicht ein Festspielleiter einfach in den Ruhestand – nein, und es scheint nicht übertrieben, damit endet ein Zeitalter. Sie haben neue Pfade entdeckt und viele Wege vielen geebnet, Sie sind auf dem ewig geheimnisvollen Kontinent der Kunst immer ein neugieriger Entdecker und so manches Mal ein risikofreudiger Abenteurer gewesen, niemals aber ein zynischer Hasardeur, der leichtfertig alles aufs Spiel setzt. Ich hoffe und ich glaube, Sie verlassen die Bühne als ein glücklicher Mensch, mit einem unsentimentalen Lächeln und einem fröhlichen Winken.
All unsere besten, unsere tiefsten und innigsten Wünsche begleiten Sie! Und wir verbeugen uns vor Ihnen heiter in dankbarer Verbundenheit, in Freundschaft und in Liebe.

Bayreuth, 28. August 2008
Peter Emmerich