Der fliegende Holländer
Besetzung 2013
Musikalische Leitung | |
Regie | |
Bühnenbild | |
Kostüme | |
Licht | |
Video | |
Dramaturgie | |
Chorleitung |
Daland | |
Senta | |
Erik | |
Mary | |
Der Steuermann | |
Der Holländer |
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
Den Tod in die Liebe miteinbeziehen
Ein Gespäch mit Jan Philipp Gloger
Im Mittelpunkt Ihrer Lesart steht die Liebe zwischen Senta und dem Holländer. Wieso glauben Sie an diese Liebe? Immerhin hat Daland seine Tochter im ersten Aufzug richtiggehend verkauft und der Holländer benötigt schlicht eine Frau, um erlöst zu werden.
Das stimmt, und für beide hat diese Liebe auch eine Funktion: Sie erscheint als Ausweg aus den Lebenswelten, unter denen sie leiden. Und trotzdem ist es eine große Liebe, so wie sie eben in beider Welten nicht vorgesehen ist – weder in Sentas Welt, in der Väter Töchter verkaufen und Männer den Fleiß der Frauen mit Geschenken belohnen, noch in der Welt des Holländers, die ständig in Bewegung, ruhelos ist, und in der dem Holländer außer seinem Reichtum nichts bleibt. Gerade weil Senta und der Holländer wirklich lieben können, passen sie nicht in diese Welten.
Was fasziniert sie also aneinander?
Genau diese Verheißung! Sie berühren sich ja in ihrem Leiden. Beide sind umgeben von Menschen, denen Profitsteigerung oberstes Prinzip zu sein scheint, und beide fühlen sich, als wären sie im falschen Leben gelandet. Sie müssen ungeheuer einsam sein. Und jetzt steht da auf einmal jemand, dem es genauso geht. Unglaublich! Der Holländer fragt sich nicht umsonst, ob er die Kraft „Liebe nennen“ sollte und verneint dann: „Ach nein! Die Sehnsucht ist es nach dem Heil“ – er kann es da einfach noch nicht glauben. Wagner selbst spricht von „seiner Liebe“ und ergänzt: „in der leidenschaftlichen Abmahnung von der Teilnahme an seinem Schicksale wird er ganz und gar wirklicher Mensch, während er bisher oft noch meist nur den grauenhaften Eindruck eines Gespenstes machte“.
Ausgangspunkt der Opernhandlung ist der Wunsch des Holländers, trotz widriger Winde ein Kap zu umsegeln. Als ihm dies nicht gelingt droht er damit, es notfalls bis in alle Ewigkeit zu versuchen. Ist so ein Verhalten heute noch problematisch?
Wir wissen zumindest, dass das Besegeln der Meere immer vor allem zur Erschließung neuer Handelswege und letztlich Erweiterung des Marktes diente. Und wir sehen gerade in unserer Zeit, welche fatalen und zerstörerischen Auswirkungen Geldgier und ein hybrides Anhäufen von Reichtum als Selbstzweck haben können.
Der Holländer ist gattungsgeschichtlich eine romantische Oper, die sich unter anderem durch die Liebe zwischen einem Menschen und einem Geist sowie durch Naturschilderungen charakterisiert. Wie übersetzt man das heute auf die Bühne?
Wichtig war uns erst einmal, den Holländer nicht als reine Projektion Sentas zu sehen, wie es in den letzten Jahren durchaus überzeugend geschehen ist. Uns hat am Anfang vielmehr interessiert, ihn genauer in den Blick zu nehmen und seiner Spezifik zwischen übersinnlichem Wesen und Mensch aus Fleisch und Blut eine Realität zu geben. Ein zentraler Ansatzpunkt war für uns, dass der Holländer, wie er in seinem Auftrittsmonolog erzählt, zum ewigen Unterwegssein verdammt ist. Eine Parallele zu unserer heutigen, dem Menschen immer mehr Mobilität und Flexibilität abverlangenden Zeit lag für uns auf der Hand.
Desweiteren wollten wir auch ein Bild für die unbändige Kraft des Meeres finden, die gerade die Orchestermusik zu Beginn beherrscht. Das Meer ist ein weiterer Protagonist des ersten Aufzugs, der Holländer spricht es in seinem Monolog als Gegenüber an. Wagner komponiert den Holländer in Paris, auf der Flucht vor Gläubigern, gepeinigt von Existenznöte und Frustrationen, im Zweifel am Zustand der Welt, der ihn für die Ideen der französischen Frühsozialisten öffnete. Ob man nun mit diesem biografischen Wissen oder aus einem heutigen Lebensgefühl heraus darauf blickt: Das Meer steht auch für eine Welt, die uns umgibt, die unbeherrschbar, hochenergetisch und rücksichtslos um uns herum wirkt. Für so ein Meer als Welt- und Lebensbild hat unser Bühnenbildner Christof Hetzer eine Installation erfunden, die für mich viele Assoziationen zulässt: ein komplexes Datennetz, ein unbeherrschbarer Weltmarkt, eine Metropole aus der Luft gesehen, vielleicht auch eine Welt der aufblitzenden Möglichkeiten, der endlosen Chancen, von denen man das Gefühl hat, sie unbedingt ergreifen zu müssen.
Gegen diese als unerträglich empfundene Weite steht die Enge der Spinnstube.
Ja, die für Senta wiederum unerträgliche Enge der Spinnstube, die sich aber mit der Welt des Holländers in der Verabsolutierung des Ökonomischen berührt. Da ist nicht nur Daland, dem man anmerkt, wie sehr er durch das System, in dem er lebt, korrumpiert wurde. Er verkauft seine Tochter in dem „Wahn, der den Menschen untertan macht seinem eigenen Werke, dem Eigentume“, von dem Wagner 1849 in seinem Text Die Revolution spricht. Und auch die anderen Figuren der Daland-Welt leben nach dem Prinzip der Ökonomisierung, das bis ins Gefühlsleben hinein reicht, für sie sind Besitz und Glück nicht zu trennen: „Wenn du nicht spinnst, vom Schatz du kein Geschenk gewinnst.“ Selbst Erik, obwohl qua Beruf Außenseiter, ist Teil dieser Ordnung, er meint, kein Geld zu haben, sei das größte Leid der Welt. Nur Senta ist diese einfache (Beziehungs-)Logik, die in eine von Materialismus und uniformer Arbeit, genormten Lebensentwürfen und Karrieredenken geprägte Welt eingebettet ist, zuwider.
Aber ist diese Senta, wenn sie sich in eine Geschichte und ein Bild verliebt, nicht krank?
Für Senta ist die Welt um sie herum, diese Spinnstubenwelt, krank. Und ihre Reaktion darauf ist keine psychotische, sondern eine bewusste Provokation. Sie will nicht wie die anderen Frauen leben. Wenn sie die Arbeitsmaterialien der Spinnstuben-Fabrik benutzt und daraus ein diffuses Objekt herstellt, dann auch,um dieser geputzten Welt, in der Leiden, Krankheit, Tod grundsätzlich erst einmal nicht vorgesehen sind, zu zeigen, dass es noch etwas anderes – Düsteres, Unergründliches, Tiefes – gibt. Das ist verstiegen und nachvollziehbar zugleich. Und es ist zutiefst unökonomisch. Da scheint die „Erlösung des Nützlichkeitmenschen“ in den „künstlerischen Menschen der Zukunft“, die Wagner später in Das Kunstwerk der Zukunft beschreibt, anzuklingen.
Was bedeuten Treue und Erlösung – die Schlüsselworte im Holländer – in Ihrer Inszenierung?
„Treue“ ist für uns eine bedingungslose Zuwendung. Sie ist unökonomisch, sie ist ewig, konstant und sozusagen nicht an die Konjunktur gebunden. Der Holländer, so wie wir ihn zeigen, hat so etwas noch nicht erlebt, dass sich ihm Menschen um seiner selbst willen zuwenden, jenseits von Erwartungen und finanziellen Interessen. Und dieses Definitive, Absolute radikalisiert sich in der „Treue bis zum Tod“, die der Holländer für seine Erlösung braucht. Erlösung ist das, worauf die „Sehnsucht nach Ruhe aus den Stürmen des Lebens“, von der Wagner im Zusammenhang mit dem Holländer als „uralter Zug des menschlichen Wesens“ sprach, abzielt, das Ende der ewigen Bewegung – aber eben in der übersteigerten Form des Todes.
Scheitert die Liebe von Senta und dem Holländer dann oder realisiert sie sich? Schließlich sterben beide zu den Klängen des sogenannten Erlösungsschlusses.
Das kann man so oder so sehen. Tatsächlich zeigt Senta ihre Bereitschaft, für den Holländer in den Tod zu gehen und diese radikale Zusicherung von Treue erlöst ihn. Aber Senta handelt am Schluss auch, weil sie in Bedrängnis gerät: Eriks Kavatine und Geschichten aus der Kindheit erinnern sie an das, was sie verlassen muss, der Holländer kommt dazu und bezweifelt ihre Konsequenz, und schließlich erscheinen Daland und die anderen, vor denen sie, die den Tod von Anfang an in ihren absoluten Liebesanspruch einbezogen hat, das Gesicht wahren muss. Und es bleibt die Frage, was ein solcher Liebestod in einer durchökomisierten Welt auszulösen vermag, die es versteht, noch das sterbende Paar zur Ware und damit zur Bestärkung seiner selbst zu machen.
Das Gespräch führte Sophie Becker
Der fliegende Holländer
Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 2. Januar 1843 Dresden
Personen
Daland, norwegischer Seefahrer (Bass)
Senta, seine Tochter (Sopran)
Erik, ein Jäger (Tenor)
Mary, Sentas Amme (Mezzosopran)
Der Steuermann Dalands (Tenor)
Der Holländer (Bass)
Handlung
Die norwegische Küste, um 1650
Erster Aufzug
Dalands Schiff wurde auf der Heimfahrt vom Sturm überrascht und ankert in einer Bucht, um günstiges Wetter abzuwarten. Die Mannschaft begibt sich zur Ruhe. Auch der von Daland als Wache eingeteilte Steuermann schläft ein („Mit Gewitter und Sturm“). – Mit blutroten Segeln naht in schneller Fahrt ein schwarzes Schiff und wirft neben Dalands Fahrzeug Anker. Ein bleicher Mann in dunkler Kleidung betritt das Ufer. Es ist der fliegende Holländer, der wegen einer Gotteslästerung dazu verdammt wurde, ruhelos die Meere zu befahren. Nur alle sieben Jahre darf er an Land gehen. Die Liebe einer treuen Frau allein kann ihn erlösen. Wieder einmal sind die sieben Jahre verstrichen (Monolog „Die Frist ist um“).
Daland bemerkt das Schiff und kommt mit dem Fremden ins Gespräch, der ihm für ein Obdach in seinem Haus reiche Schätze bietet. Als Daland seine Frage, ob er eine Tochter habe, bejaht, bittet er sogleich um ihre Hand. Daland sieht in dem Mann einen reichen Schwiegersohn und fordert ihn auf, die Heimreise gleich mit ihm zusammen anzutreten. Beide Schiffe stechen in See.
Zweiter Aufzug
In Dalands Haus sitzen die Mädchen, unter ihnen Dalands Tochter Senta, beim Spinnen. Senta allein ist wie entrückt, immer wieder betrachtet sie das Bild des fliegenden Holländers, jener Sagengestalt, die allen Seefahrernationen wohl bekannt ist. Sie singt ihren Freundinnen eine Ballade, in der das traurige Los des Ruhelosen geschildert wird. Dabei steigert sie sich in Ekstase, sie selbst möchte das Opfer bringen und den Unseligen erlösen (Ballade „Johohoe! Traft ihr das Schiff im Meere an“).<
Erik, Sentas Verlobter, tritt ein und berichtet, dass der Vater heimgekehrt sei. Sentas seltsame Erregung berührt ihn schmerzlich. Er versucht, wie schon oft, ihr Herz für sich einzunehmen. Senta weist ihn zurück. Beunruhigt erzählt er ihr einen Traum, in dem sie mit einem Fremden aufs Meer hinauszog (Szene „Auf hohem Felsen“). In dieser Erzählung aber sieht Senta einen Hinweis auf ihre Aufgabe, den Unglücklichen zu erlösen. Entsetzt verlässt Erik das geliebte Mädchen. Daland tritt ein und stellt wortreich den Fremden vor, der nicht nur Gast des Hauses, sondern auch ein Bewerber um ihre Hand sei (Arie „Mög'st du, mein Kind“). Kaum achtet Senta auf des Vaters Worte, entgeistert stehen sie und der Holländer einander gegenüber (Duett „Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten“). Senta gelobt ihm ewige Treue, der Fremde warnt sie vor dem selbst gewählten Los, dennoch sieht sie ihre Aufgabe im Liebesopfer. Der Holländer empfindet erstmals die Hoffnung, seinem Fluch entrinnen zu können.
Dritter Aufzug
Am Ufer vor Dalands Haus feiern die Dorfbewohner und die norwegischen Matrosen die glückliche Heimkehr (Chor „Steuermann, lass die Wacht“). Das Schiff des Holländers liegt schwarz und schweigend da. Als die Feiernden hinüberrufen und die offenbar tote Mannschaft höhnen, erwacht das Geisterschiff plötzlich zu schaurigem Leben. Dumpfe Gesänge tönen herüber, die gespenstische Mannschaft zeigt sich, und ein Sturm jagt die frohe Gesellschaft auseinander. Noch einmal versucht Erik, Senta von ihrem Vorhaben abzuhalten, beschwörend erinnert er sie an seine Liebe und Treue (Arie „Willst jenes Tags“). Der Holländer hat beide von ferne beobachtet und glaubt, dass Senta in ihrer Treue wanke. Er befiehlt seiner Mannschaft, das Schiff klarzumachen. Ohne auf Sentas Beteuerungen zu achten, bereitet er die Abreise vor. Dem herbeigeeilten Volk offenbart er mit leidenschaftlichen Worten sein furchtbares Schicksal. Auch Senta wäre der ewigen Verdammnis verfallen. Nur weil sie die Treue noch nicht vor dem Altar gelobt habe, könne sie gerettet werden. Doch Senta besiegelt ihre Treue mit dem Tod: Von einer Felsenklippe wirft sie sich ins Meer. Gleichzeitig versinkt das gespenstische Schiff; auch der Holländer ist nun erlöst. Wie eine Vision schweben beide Gestalten zum Himmel.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:
© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus