Lohengrin
Besetzung 2022
Musikalische Leitung | |
Regie | |
Bühne | |
Kostüm | |
Licht | |
Chorleitung |
Heinrich der Vogler | |
Lohengrin | |
Elsa von Brabant | |
Friedrich von Telramund | |
Ortrud | |
Der Heerrufer des Königs | |
1. Edler | |
2. Edler | |
3. Edler | |
4. Edler |
Gesamtkunstwerk
Wie andere große Ideen seines Jahrhunderts, hat Wagners Entwurf vom „Gesamtkunstwerk“ immer noch etwas Großartiges, Faszinierendes und Utopisches. Er besaß aber auch etwas sehr Individualistisches: Denn die vielen engverflochtenen Elemente einer Oper stammten in den Bayreuther Anfangsjahren allein von einem großen Geist. Aus der Sicht des 21. Jahrhunderts kann man allerdings die Gefahr, die darin liegt, gut erkennen: Wenn man Theater als Gleichnis sozialer Verhältnisse betrachtet, kann einem Wagners Schöpfungsprozess problematisch erscheinen und als extreme „Monomanie“ bezeichnet werden. Die Folgen dieses Modells haben die Weltgeschichte stark und natürlich nicht immer positiv beeinflusst. Man muss aber den Widerspruch erkennen, dass, wenn das Geschaffene durch eine monologische Methode erzeugt wurde, das daraus resultierende Werk verblüffend antiautoritär sein kann. Lieblose oder seelenlose Obrigkeit repräsentiert bei Wagner immer den größten Gegner des freien oder freiseinwollenden Individuums, und Lohengrin, geschrieben in der Zeit des Vormärz, hat einen besonders antiautoritären Charakter.
Gerade darum ist es schön, mit den Malern Neo Rauch und Rosa Loy hier in Bayreuth – im Haus des Gesamtkunstwerks – eine alternative Arbeitsweise zu kreieren, die einen erweiterten Begriff des Gesamtkunstwerks anbietet. Verschiedenartige Ideen in einem Strom zu vereinen und in ein gemeinsames Schaffen münden zu lassen, um Vielseitigkeit zu erzeugen – oder besser, die Vielseitigkeit des Werks zu treffen: Das war die Aufgabe. Diese Inszenierung ist also der Schnittpunkt vieler Ideen, genau wie die Harmonie dem Einklang unterschiedlicher Stimmen entspricht.
Die Elektrifizierung des Landes
Im ersten Bühnenentwurf von Neo und Rosa stand ein Strommast in der Mitte der Bühne. Er trug die trübe, melancholische Farbe eines Relikts und wurde als Gerichtseiche angesehen, genau wie ein ruinenartiger Isolator als Königsthron fungierte. Mir hat dieses Bild erzählt, dass Brabant ein untergegangenes Land ist, ohne Elektrizität, ein Land, das die Energie verloren und das Verlorene zum Göttlichen überhöht hat. Anders gesagt, Lohengrin muss den Strom ins finstere Brabant bringen, ähnlich wie Lenin Russland „elektrifizieren“ musste. Lohengrin und Lenin: Muster visionärer Führer, die ein Ideal verkörpern und doch von Widersprüchen zerrissen werden. Lohengrin als Idee, als Vision, als Deus ex Machina, erscheint wunderbar, aber je länger seine ätherischen Zehenspitzen den Boden berühren, desto mehr wird er durch den Einfluss der Realität korrumpiert. Im ersten Akt redet er von seinen tugendhaften Absichten und seinen Visionen: Eine Frau zu retten und auf ein höheres Niveau zu bringen. Er gibt ein idealisiertes Beispiel für eine Gesellschaft der gleichwertigen Geschlechter, nicht unähnlich Lenins Aufruf für die soziale Gleichberechtigung von Mann und Frau. In jedem Fall eine höchst löbliche Absicht, aber leider noch heute schwer realisierbar. Weder Lenin noch Lohengrin konnten sie in ihrem Privatleben realisieren. Im dritten Akt zeigt Lohengrin, wie seine Frau im „Brautgemach“ ihm gehorchen und seine Lust erfüllen muss. Insgeheim steht er auf Beherrschung, gegen die er im Öffentlichen eintritt. Diese bis in die Gegenwart nur allzu bekannte Heuchelei macht Lohengrin aber nicht böse, sondern lässt ihn als tragischen Exponenten der Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit erscheinen, die jede Ideologie zur Folge hat. Die Tragödie des Stückes ist nicht Elsas Scheitern, sondern das Lohengrins.
Müssen alle Ideale, die in ihrem Kern heil und heilend sind, an der Realität scheitern? Wagner sann über diese verzweifelte Frage nach, als er seinen Gang auf die Dresdner Barrikaden vorbereitete.
Zum Märchen und zur Gewalt
Das märchenhafte Kolorit der Oper darf nicht als eine Besänftigung wahrgenommen werden. Märchen benutzen Mittel der Abstraktion – Distanzierung vom Historismus und unerwartete, fantasiehafte Brüche –, um die Essenz der Erzählung hervorzuheben. Das Märchenhafte bei Lohengrin ist eine Maske, hinter der Wagner seine Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit leidenschaftlich in Szene setzte.
Dieses Märchen erzählt von einem Helden, der jedes Nachfragen strikt untersagt. Aber das Thema „blinder Gehorsam“ setzt nicht mit Lohengrins Frageverbot ein, sondern mit dem religiösen Scheingericht in der ersten Szene. Nicht zufällig stammt Marx’ Satz „Die Religion ist das Opium des Volkes“ aus dem Jahre 1844, der Entstehungszeit der Oper. Lohengrin zeigt die schädlichen Folgen des religiösen Rauschmittels: Wie eine Gesellschaft, in der Religion und Regierung untrennbar verbunden sind, einen häufig beschworenen Gott als Mittel der Unterdrückung benutzt. Solche Gesellschaften brauchen beständig Opfer, um ihre Macht zu bestätigen – am besten Frauen, in vielen Religionen die „Wurzel allen Übels“. Die Schuldlosen werden ohne Beweis bestraft, die wahrhaft Schuldigen dagegen bleiben in der Gunst des Königs, und das Volk – der Chor in der Oper –, leicht überdreht von einem Spektakel, nimmt die lähmende Wirkung dieses Opiums nicht wahr.
Darum ist das im Lohengrin gezeigte Königreich weder Vorbild noch heile Welt, sondern ein verwahrlostes Land, im Fundamentalismus eingefroren. Wir dürfen König Heinrichs „Gott“ nicht mit unserem Begriff von „Güte“ verwechseln: Der König gibt sich demütig, um seine Macht zu erhalten und um seine Untertanen in ihrer niedrigen Position zu halten („So hilf uns, Gott, zu dieser Frist, weil unsre Weisheit Einfalt ist!“). Er zeigt eine offizielle Maske und benutzt oberflächliche Begriffe und politische Slogans, die das Volk vom innergesellschaftlichen Unrecht ablenken, und die der Männerchor gerne wie ein Echo wiederholt. („Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!”) Man spürt bei Wagner keinerlei Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ in dem Gesellschaftsbild seiner Oper, wie etwa später in den Meistersingern, sondern erhält das Gefühl einer grausamen, unmenschlichen Situation, die dringend überwunden werden muss – so wie Wagner die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit damals betrachtete.
Zum aufkeimenden Bewusstsein Elsas und dem positiven Einfluss Ortruds
Elsa steht im Gegensatz zu dieser Gesellschaft ohne frei denkende Individuen, und die Haupthandlung der Oper zeigt ihre zwei Befreiungen. Die erste geschieht durch Lohengrin im ersten Akt: Er rettet sie vorm Tod und vor der feindlichen Brabanter Gesellschaft. Jedoch ist die zweite Befreiung im dritten Akt viel wichtiger, denn dort befreit sie sich selbst: Von Lohengrins unmöglichen Erwartungen. „Ist dies nur Liebe?“ fragt sie sich zweifelnd im dritten Akt – nein, erkennt sie in dem Moment, als sie das Frageverbot bricht. „Das Glück ohne Reu“ darf nicht blind sein, sondern ist wissend, offen und frei. Elsas Entwicklung allein gibt Antwort auf Wagners gesellschaftlichen Zweifel: Wenn man seine Ideale in die Realität umsetzen will, muss man auch die Ideale hinterfragen und an der Realität messen.
Um ihre Befreiung zu erringen, braucht Elsa allerdings Ortruds Hilfe. Ortrud ist eine Überlebenskünstlerin, wie eine Spinne unter Fliegen. Sie ist eine Art „Satan“ – dämonisiert von der institutionellen Kirche. Mikhail Bakunin, „der beste Freund der Menschheit“ und Wagners Freund in der Entstehungszeit Lohengrins, beschreibt Satan in Gott und der Staat so:
„Gott wollte also, daß der Mensch, allen Bewußtseins von sich selbst beraubt, ewig ein Tier bleibe, dem ewigen Gott, seinem Schöpfer und Herrn Untertan. Aber da kam Satan, der ewige Rebell, der erste Freidenker und Weltenbefreier. Er bewirkt, daß der Mensch sich seiner tierischen Unwissenheit und Unterwürfigkeit schämt; er befreit ihn und drückt seiner Stirn das Siegel der Freiheit und Menschlichkeit auf, indem er ihn antreibt, ungehorsam zu sein und die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen.“
So positiv können wir auch Ortrud verstehen: Sie ist eine Freiheitskämpferin, sie wendet sich gegen die Heuchelei der Brabanter. Als Frau in einer männlich dominierten Gesellschaft muss sie besonders geschickt handeln und verschwiegen sein. Als Revolutionärin mit matriarchalischen Wurzeln will Ortrud diese Gesellschaft überwinden. In der Szene zwischen den beiden Frauen Elsa und Ortrud im zweiten Akt wird oft angedeutet, dass die „Schlange“ Ortrud Elsas Reinheit mit Zweifeln vergiftet. Aber anders gesehen: Ortrud beabsichtigt, Elsa vor der giftigen Gesellschaft zu retten, um sie in eine Freidenkende zu verwandeln. Und Ortrud hat völlig Recht, Lohengrin infrage zu stellen – genau wie Elsa. Ortrud fordert Elsa heraus, ihre kritischen Fähigkeiten zu gebrauchen. Am Schluss verlässt Elsa diese Gesellschaft und deren falschen Glauben und geht …
Wohin? Wir wissen es nicht, aber wir sehen sie in die Welt hinausziehen, stärker und intelligenter als zuvor, und weniger naiv.
Ortrud bleibt währenddessen zurück, um sich der verbrannten Erde anzunehmen, die Elsa hinterlässt.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute …
Yuval Sharon
Lohengrin
Romantische Oper in drei Akten
Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 28. August 1850 Weimar
Personen
Heinrich der Vogler, deutscher König (Bass)
Lohengrin (Tenor)
Elsa von Brabant (Sopran)
Herzog Gottfried, ihr unmündiger Bruder (stumme Rolle)
Friedrich von Telramund, brabantischer Graf (Bariton)
Ortrud, seine Gemahlin (Mezzosopran)
Der Heerrufer des Königs (Bass)
Vier brabantische Edle (zwei Tenöre, zwei Bässe)
Vier Edelknaben (Soprane und Alti)
Handlung
Antwerpen, erste Hälfte des 10. Jahrhunderts.
Erster Akt
Am Ufer der Schelde ruft König Heinrich die brabantischen Männer zum Kampf gegen die Ungarn auf („Gott grüß' euch, liebe Männer“). Vor dem Gericht des Königs erhebt Friedrich Graf von Telramund Klage gegen Elsa, sein Mündel, um dessen Hand er vergeblich geworben hatte. Er beschuldigt sie, ihren jüngsten Bruder Gottfried, der auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist, ermordet zu haben; auch stellt er dem König seine Gemahlin Ortrud vor, die heidnische Tochter des Friesenfürsten Radbod („Dank, König dir“). Elsa wird aufgefordert, vor dem König zu der Anschuldigung Stellung zu nehmen. Sie aber spricht in träumerischer Verzückung von einem Ritter, der ihr erschienen sei und Hilfe versprochen habe („Einsam in trüben Tagen“). Keiner der anwesenden Ritter wagt es, im Gotteskampf für Elsa gegen Telramund zu streiten.
Zweimal hat der Heerrufer schon die Aufforderung verkündet; Elsa versinkt im Gebet. Da erscheint beim dritten Aufruf in einem von einem Schwan gezogenen Nachen ein Ritter in silberner Rüstung. Er erklärt dem König, für Elsas Unschuld kämpfen zu wollen, fordert aber das Versprechen, niemals nach seinem Namen und seiner Herkunft gefragt zu werden („Nun sei bedankt mein lieber Schwan?... Nie sollst du mich befrage“). Gegen den Rat seiner Männer stellt sich Telramund zum Kampf, den der König nach feierlichem Gebet („Mein Herr und Gott, Dich ruf ich jetzt“) in althergebrachter Weise anordnet. Nach kurzem Gefecht unterliegt Telramund. Der Schwanenritter schenkt ihm das Leben. Die Anwesenden erkennen seine höhere Sendung und bejubeln den Sieg des Gerechten.
Zweiter Akt
Nach den Regeln des Gottesgerichts ist Telramund durch die Niederlage im Kampf geächtet. Nachts sitzt er mit seiner dämonischen Gattin Ortrud vor den Mauern der Burg („Erhebe dich, Genossin meiner Schmach“). Er wirft ihr vor, nur unter ihrem bösen Einfluss die Klage gegen Elsa erhoben zu haben. Sie überzeugt ihn, dass der Ritter ein Zauberer sei, dessen Macht durch die kleinste körperliche Verletzung gebrochen werden könne. Auch solle er Elsas Glauben an Lohengrin zu erschüttern trachten, damit sie ihm die verbotene Frage stelle. Auf dem Söller erscheint Elsa, selig vor Glück („Euch Lüften, die mein Klagen“). Ortrud täuscht Reue vor und erweckt dadurch Elsas Mitleid. Während Elsa zu ihr hinabsteigt, ruft Ortrud die heidnischen Götter um Hilfe für ihre finsteren Pläne an („Entweihte Götter“).
Am Morgen strömen die Krieger im Burghof zusammen. Der Heerrufer verkündet ihnen Elsas bevorstehende Vermählung mit dem Ritter, der auch zum Feldherrn im Kampf gegen die Ungarn bestimmt worden sei. Vor dem Tor des Münsters tritt Ortrud plötzlich Elsa in den Weg und fragt sie höhnisch nach dem Namen und der Herkunft ihres Bräutigams. Lohengrin und der König beruhigen die verstörte Elsa. Doch aus der Kirche, wo er Asyl gefunden hat, tritt nun der vogelfreie Telramund und beschuldigt den Ritter vor allen Anwesenden der Zauberei. Lohengrin fragt die zweifelnde Elsa erneut, ob sie ihm vertraue. Sie bekennt ihm ihre grenzenlose Liebe. Der Hochzeitszug schreitet ins Münster.
Dritter Akt
Der König geleitet das Paar feierlich ins Brautgemach (Chor „Treulich geführt“). Zum ersten Mal allein, gestehen sie einander ihre Liebe (Duett „Das süße Lied verhallt“). Doch Elsas Zweifel sind geblieben. Noch kann der Ritter sie durch liebevolle Worte abhalten („Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte“). Immer drängender wird ihre Ungeduld, auch seine ernste Mahnung („Höchstes Vertrau'n“) bleibt fruchtlos. Wie in einer Vision sieht sie ihren Geliebten mit dem Schwan entschwinden und stellt schließlich die unheilvolle Frage. Da stürzt Telramund herein, um Lohengrin mit dem Schwert zu überfallen. Der Ritter vermag ihn jedoch niederzustrecken und befiehlt seinen Männern, die Leiche vor des Königs Gericht zu tragen, dem er Rede stehen werde.
Am Morgen erscheinen Lohengrin und Elsa vor dem König und dem versammelten Heer. Lohengrin erhebt Klage gegen den Meuchelmörder Telramund, aber auch gegen Elsa, der allein er auf ihre Frage Auskunft über sein Herkommen geben müsse. Er sei von seinem Vater, dem Gralskönig Parsifal, ausgesandt worden, der unschuldig angeklagten Elsa zu helfen, müsse aber nun, da er nicht mehr unerkannt sei, zurückkehren (Gralserzählung „In fernem Land“). Schon erscheint auf der Schelde der Schwan mit dem Nachen, um den Ritter heimzuholen. Er übergibt Elsa sein Schwert, sein Horn und einen Ring, den sie ihrem Bruder, dessen Rückkehr bevorstehe, übergeben solle („Mein lieber Schwan“). Da tritt in wildem Triumph Ortrud vor und bekennt, dass sie selbst Gottfried in den Schwan verwandelt habe, der nun nach Lohengrins Fortgehen nie wieder befreit werden könne. Da versinkt Lohengrin in tiefes Gebet. Die Taube des Grals erscheint, der Schwan versinkt, und Gottfried steigt erlöst ans Ufer. Während die Taube den Nachen mit Lohengrin fortzieht und die Brabanter dem jungen Herzog ihre Ehrfurcht bekunden, sinkt Elsa tot zu Boden.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:
© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus