Aufführungsdatenbank

Parsifal

Besetzung 2010

Musikalische Leitung

Daniele Gatti

Regie

Stefan Herheim

Bühnenbild

Heike Scheele

Kostüme

Gesine Völlm

Video

Momme Hinrichs

Torge Møller

Dramaturgie

Alexander Meier-Dörzenbach

Chorleitung

Eberhard Friedrich

Amfortas

Detlef Roth

Titurel

Diógenes Randes

Gurnemanz

Kwangchul Youn

Parsifal

Christopher Ventris

Klingsor

Thomas Jesatko

Kundry

Susan Maclean

1. Gralsritter

Arnold Bezuyen

2. Gralsritter

Friedemann Röhlig

1. Knappe

Julia Borchert

Jutta Maria Böhnert
26.8. (Umbesetzung)
(26.8)

2. Knappe

Ulrike Helzel

3. Knappe

Clemens Bieber

4. Knappe

Willem Van der Heyden

Klingsors Zaubermädchen

Julia Borchert

Stephanie Hanf
26.8. (Umbesetzung)
(26.8)

Klingsors Zaubermädchen

Martina Rüping

Klingsors Zaubermädchen

Carola Guber

Klingsors Zaubermädchen

Christiane Kohl

Klingsors Zaubermädchen

Jutta Maria Böhnert

Klingsors Zaubermädchen

Ulrike Helzel

Altsolo

Simone Schröder

Termine

  • Donnerstag, 29. Juli 2010
  • Samstag, 07. August 2010
  • Dienstag, 10. August 2010
  • Samstag, 14. August 2010
  • Mittwoch, 18. August 2010
  • Donnerstag, 26. August 2010

Von Alexander Meier-Dörzenbach

Die reine Wahrheit und die Ware Reinheit:

Zur Neuinszenierung des "Parsifal", 2008

„Alles, was man gemeinhin Vergangenheit nennt, ist im Grunde nur eine leiser und dunkler gewordene Art von Gegenwart“ definierte einst Gertrud von Le Fort – unsere Inszenierung will nun die Vergangenheit lauter und heller werden lassen, um damit Wagners

Parsifal

zu vergegenwärtigen. Schon das Stück selbst thematisiert Vergegenwärtigung: das individuelle Erkennen der leiser und dunkler, aber nicht weniger signifikant gewordenen Schichten von Vergangenheit, die sich mit Menschlichkeit, Göttlichkeit und deren Perversionen auseinandersetzt. Erzählungen und Reflexionen der Figuren sind hierbei oft bedeutender als die Bühnenhandlung, denn dramatisch effektvolle Momente – angefangen bei Kundrys Auslachen des gekreuzigten Christus und der himmlischen Überreichung von Gral und Speer an Titurel über Klingsors Selbstkastration, Parsifals kindliche Ritterfaszination und Amfortas sündiges Erliegen sind zu Gunsten einer epischen Konzentration theatral nicht ausgestaltet. So wie aber die subjektiven Erfahrungen von Vergangenheit auf die Gegenwart der Bühnenfiguren wirken, so bestimmt auch das leiser und dunkler gewordene Präsens von Wagners Bühnenweihfestspiel unsere Kunsterfahrung im Hier und Jetzt. Selbst wenn vergangene Konstruktionen in Historiographien, Biographien, Mythologien und Philosophien dabei immer gröber verpixelt und verzerrt werden, so formieren sie sich doch zu einem klingenden Bild nach dem so schmerzlich bedeutungsblutenden Begriff Erlösung.

 

Seine letzte Oper bezeichnet Wagner als

Bühnenweihfestspiel

und vereint damit terminologisch vier Elemente, die zu unterschiedlichen Gewichtungen geführt haben: Während die Rahmenworte Bühne und Spiel auf den theatralen Rahmen der Aufführung verweisen, stehen mit Weihe und Fest überhöhte und überhöhende Elemente im Zentrum. Das letzte Werk Richard Wagners wurde musikalischer Kunstreligionsstiftung geweiht, als musizierte Eucharistie gespielt, auf Bühnen als Kompensationsritual asketischer Sexualität kritisiert, als Fest radikalen Antisemitismus’ verdammt – darüber hinaus ist das Bühnenweihfestspiel

Parsifal

in der spöttischen Etikettierung Friedrich Nietzsches der „Operettenstoff par excellence“; Nietzsche stellt nicht nur die Frage „war dieser Parsifal überhaupt

ernst

gemeint?“, sondern beantwortet sie auch gleich im Wunsch, dass es ein „Exzess höchster und mutwilligster Parodie auf das Tragische selbst, auf den ganzen schauerlichen Erden-Ernst und Erden-Jammer von ehedem, auf die endlich überwundene

dümmste

Form in der Widernatur des asketischen Ideals“ sei. Dabei ist die Schlussformel des Werkes weniger terminiert, als sie einen mit verklärenden Klängen erfüllten Raum des Ungewissen öffnet: „Höchsten Heiles Wunder: / Erlösung dem Erlöser!“ Dieses rätselhafte Diktum, das sich noch nicht in Wagners Prosaentwurf von 1865 findet, kann sich auf den durch den Speer erlösten Amfortas beziehen, auf Christus, da sein Blut nun aus den sündigen Händen Amfortas’ befreit ist oder auf Parsifal als Erlöser, der ja nach langer irrender Wanderschaft fortan seiner Bestimmung nachgehen kann. Bedeutet der finale Erlösungsruf nun Kritik an allen Systemen, die das Leiden des individuellen Menschen nicht wahrnehmen? Dieser am Ende postulierte Erlösungsimperativ, der im akustisch weiß strahlenden Klanglicht motivisch nichts Neues postuliert, hat die bekannten Themen harmonisch gereinigt und entlässt sie widerspruchslos in sphärisch lichte Höhen.

 

Dabei ist dieser

Parsifal

in ein irdisch enges Netz aus Geschichte verstrickt, das einschnürende Knotenpunkte aufweist: Einerseits wird ihm beispielsweise von Hans Küng religiös innere Friedensbotschaft und erlösende Versöhnung attestiert, die dann zum „Mitleid mit den leidenden Menschen […] zum neuen Dienst in der Welt führen“. Andererseits wurden Hitlers Verbrechen als reale Umsetzung des reinen Blut-Kultes (miss-)verstanden: „Sein Millionenmord an den europäischen Juden wurde zur bleibenden Spur, die Wagners

Parsifal

in der Geschichte hinterlassen hat“ schreibt Joachim Köhler in seinem reißerisch titulierten Buch

Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker.

Überzeitliche Utopie einer besseren Welt versus ideologische Wegbereitung der historischen Katastrophe: Die Kluft der Lesarten könnte nicht gewaltiger sein – doch in genau diesem Spannungsriss liegt das Kraftfeld des Werkes. Es ist eine vierköpfige Chimäre: ein Bühnen-Weih-Fest-Spiel, das irgendwo zwischen phantastischem Theater, religiösem Kult, mythischer Feier und lehrreicher Unterhaltung oszilliert, aber auf keinen Fall eine gemeine Oper werden sollte. Die Nachwirkungen dieser

Parsifal

-Aspekte beeinflussen bis heute das Hören von Wagners Musik und manifestieren in der Formel „Erlösung dem Erlöser!“ daher auch eine auf das Werk selbst zu beziehende Notwendigkeit.

 

Vergegenwärtigung impliziert eine Auflösung der Grenzen von Vergangenheit und Gegenwart, von Symbol und Konkretem, von Tod und Leben. Im christlichen Kontext steht dabei die Abendmahlfeier im Zentrum; bei Wagner erklingt diese Verschränkung von menschlichem Tod und Teilhabe am ewigen Leben durch die Enthüllung des Grales in symbolträchtiger Umkehrung: „Blut und Leib der heil’gen Gabe / wandelt heut’ zu eurer Labe / sel’ger Tröstung Liebesgeist / in den Wein, der euch nun floß, / in das Brot, das heut’ ihr speist.“ Leben und Tod sind hier nicht als parallel laufende Einbahnstraßen zu verstehen, sondern als Kreuzung, die verschiedene Richtungen ausweist: Das durch den Tod zu erlangende ewige Leben und das Leben als durch Geburt initiiertes langes Sterben sind Scharniere zu der zum Raum gewordenen Zeit, in dem sich der Fragenkomplex von Wesensarten des Lebens und Todes sinnlich ausgestalten lässt.

 

Als musiktheatraler Reifungsprozess über Leben und Tod erzählt

Parsifal

die Geschichte eines reinen Toren, der Auswirkungen von Gewalt zu erkennen und somit seine eigene Biographie zu reflektieren lernt. Betrachtet man diese Reflektion als einen kulturgeschichtlichen Prozess im Spiegel einer kollektiven Identitäts- und Heilssuche, so ist

Parsifal

ebenfalls die Geschichte einer Nation, die sich auch politisch immer wieder Erlöserfiguren verschrieben hat und nun Vergangenheiten aufarbeiten muss, soll die Zukunft als Ideal einer erlösten Gegenwart funktionieren. Das Bühnenweihfestspiel löst am Ende alle Subjektivität auf und strahlt so in absoluter Reinheit, doch die Sehnsucht nach Identität treibt das Prinzip der mitleidigen Erlösung auf immer wieder neue Weise aus. Somit ist

Parsifal

auch die Geschichte einer globalen Gesellschaft, die sich bis auf den heutigen Tag kollektive Erlösung und Frieden vom individuellen Wähnen in Bayreuth erhofft.


Parsifal

Ein Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen

Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 26. Juli 1882 Bayreuth

Personen

Amfortas (Bariton)
Titurel (Bass)
Gurnemanz (Bass)
Parsifal (Tenor)
Klingsor (Bariton)
Kundry (Sopran)
Zwei Gralsritter (Tenor und Bass)
Vier Knappen (Sopran und Tenor)
Klingsors Zaubermädchen (sechs Soprane)
Stimme aus der Höhe (Alt)

Handlung

Auf dem Gebiet und in der Burg der Gralshüter „Montsalvat“, Klingsors Zauberschloss und Garten; frühes Mittelalter.

Vorgeschichte

Der Gralskönig Amfortas hat im Kampf gegen den abtrünnigen Ritter Klingsor, der trotz seines Verlangens nach Heiligkeit nicht fähig war, ein reines Leben zu führen und sich deshalb selbst entmannte und eine Zauberburg geschaffen hat, den heiligen Speer verloren, als er sich von der dämonischen Kundry verführen ließ. Klingsor hat Amfortas mit dem Speer eine niemals heilende Wunde geschlagen; nun sucht Kundry, die sich in Klingsors Gewalt befindet, ihre Schuld zu sühnen, indem sie Amfortas heimlich lindernde Kräuter und Tränke bringt.

Erster Aufzug

Im Wald bei der Gralsburg, unweit des heiligen Sees, hält sich der alte Gralsritter Gurnemanz mit einigen Knappen auf und befiehlt ihnen, das Bad für den kranken König zu bereiten. Nach seinem Morgengebet erscheint Kundry und bringt Heilkräuter aus fernen Ländern. In traurigem Zug wird Amfortas herbeigetragen; seinen Dank weist Kundry zurück. Nach dem Bad des Königs erzählt Gurnemanz den Knappen die Geschichte vom ersten Gralskönig Titurel und dessen Sohn Amfortas („Titurel der fromme Held“). Eine Hoffnung ist für Amfortas geblieben: Seine Wunde kann durch die Berührung des heiligen Speers geheilt werden; aber nur ein durch Mitleid wissender „reiner Tor“ kann ihn zurückbringen. Plötzlich wird die Stille des Waldes gestört. Ein tödlich getroffener Schwan fällt zu Boden, die Ritter bringen den Schuldigen, einen fremden Jüngling, zu Gurnemanz, der ihm die Frevelhaftigkeit seines sinnlosen Handelns vorhält. Beim Anblick des toten Tieres zerbricht der Jüngling in einer plötzlichen Aufwallung der Gefühle seinen Bogen. Er weiß nichts von seiner Herkunft, kennt nicht seinen Namen, weiß nur, dass seine Mutter, der er weggelaufen ist, Herzeleide genannt wurde. Kundry hat zugehört; sie kennt seine Herkunft und sagt ihm hart, dass seine Mutter tot sei, worauf er sie wild an der Kehle packt. Gurnemanz kann ihn beruhigen. Er hält ihn für den verheißenen reinen Toren und führt ihn in die Gralsburg, wo er Zeuge des Liebesmahles der Bruderschaft der Gralsritter und der furchtbaren Klage des leidenden Amfortas wird, der sich weigert, Titurels Bitte um Enthüllung des lebensspendenden Grals, der Schale mit dem Blut des Erlösers, nachzukommen („Mein Sohn Amfortas“ – „Nein, lass ihn unenthüllt“). Doch Titurels Befehl muss erfüllt werden; alle sinken in die Knie, während der geheimnisvolle Gral in seltsamem Licht erglüht. Der Jüngling fühlt, dass hier etwas Unfassbares vorgeht, doch schweigend verweilt er bei der heiligen Handlung; sein Mitleid ist nicht zur Tat geworden. Enttäuscht jagt Gurnemanz ihn hinaus. Aus der Kuppel des Raumes tönt eine Stimme: „Durch Mitleid wissend, der reine Tor.“

Zweiter Aufzug

Auf seiner Zauberburg sieht Klingsor den von langer Wanderschaft kommenden Jüngling herannahen. Auf sein Geheiß erwacht Kundry mit einem furchtbaren Schrei aus todesähnlichem Schlaf; Klingsor zwingt sie, den Jüngling zu umgarnen und zu vernichten. Ein zauberhafter Garten entsteht; verführerische Mädchen umdrängen den staunenden Jüngling. Dann erscheint Kundry, die ihn mit seinem richtigen Namen Parsifal anspricht und vom Sterben seiner Mutter erzählt. In zauberhafter Schönheit nähert sie sich dem von der Erzählung bewegten Jüngling. Bei ihrem Kuss aber erwacht Parsifal zu plötzlichem Wissen; das Bild des leidenden Amfortas ersteht vor seinem inneren Auge. Er stößt Kundry von sich; ihre Verlockungen können ihn nicht mehr bewegen, er wird sich seiner Sendung bewusst. In ihrer Verzweiflung ruft Kundry Klingsor herbei, der den heiligen Speer nach Parsifal schleudert. Doch über seinem Haupt bleibt die Waffe schweben, sodass Parsifal sie ergreifen und damit das Zeichen des Kreuzes schlagen kann. Mit einem Mal versinken der Zaubergarten und Klingsors falsches Reich. „Du weißt, wo du mich wiederfinden kannst“, ruft er Kundry zu, dann begibt er sich auf die Fahrt zur Gralsburg.

Dritter Aufzug

Im einsamen Wald lebt Gurnemanz traurig und verlassen. Titurel ist gestorben, Amfortas enthüllt den lebensspendenden Gral nicht mehr. In den Büschen findet Gurnemanz die erstarrte Kundry, die sich demütig anbietet, nur noch zu dienen. Ein Ritter in dunkler Rüstung mit geschlossenem Visier schreitet durch den Wald; freudig erstaunt erkennt Gurnemanz den Toren, den er einst fortgeschickt hatte, und Amfortas' heiligen Speer. Parsifal erfährt von Gurnemanz die Not der Gralsritter; dann wäscht Kundry ihm die Füße. Gurnemanz begrüßt ihn als neuen Gralskönig; als solcher vollzieht er als erstes Amt an Kundry die Taufe. Gurnemanz preist die Bedeutung des Karfreitagswunders; in leuchtender Schönheit erblüht die Natur (Karfreitagszauber „Mein erstes Amt ... Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön!“). Dann geleitet Gurnemanz Parsifal zur Gralsburg. Dort schreiten die Ritter in düsterem Zug zur Totenfeier für Titurel. Noch einmal soll Amfortas ihnen den Gral enthüllen; doch er weigert sich und fleht sie an, ihm den Tod zu geben. Da betritt Parsifal in Begleitung von Kundry und Gurnemanz den Saal. Mit dem Speer berührt er Amfortas' Wunde (Szene „Nur eine Waffe taugt“) und erlöst ihn hierdurch von seinem Leiden. Als neuer Gralskönig enthüllt er die heilige Schale; während ihr Licht strahlt, wird Kundry durch den Tod erlöst.


Harenberg Kulturführer OperMit freundlicher Genehmigung entnommen aus:

© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus