Tannhäuser
Besetzung 2011
Musikalische Leitung |
Peter Tilling
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Regie | |
Bühnenbild | |
Kostüme | |
Licht | |
Video | |
Dramaturgie | |
Chorleitung |
Landgraf Hermann |
Kwangchul Youn
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Tannhäuser | |
Wolfram von Eschenbach | |
Walther von der Vogelweide | |
Biterolf |
Rainer Zaun
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Heinrich der Schreiber | |
Reinmar von Zweter | |
Elisabeth, Nichte des Landgrafen | |
Venus | |
Ein junger Hirt |
„Man sieht nur, was man weiß“ (Goethe)
Die 10 meistgestellten Fragen zum Bayreuther Tannhäuser 2011
Missverständnisse und Ratlosigkeiten gegenüber Sebastian Baumgartens Bayreuther Tannhäuser-Inszenierung entstanden bei vielen Zuschauern ausgerechnet da, wo sich der Regisseur eng an die Vorlage hielt. Baumgarten hat Wagners Oper nicht etwa „fremde“ Gedanken und Bilder übergestülpt, sondern sehr konsequent ernst genommen, was Wagner schrieb. Dabei wurden allerdings auch Besonderheiten des Librettos und der Partitur berücksichtigt, die im Opernführer gerne ignoriert werden. Der folgende Text ist ein Versuch, an Hand der am häufigsten gestellten Fragen, Beweggründe dieser Inszenierung zu klären. Wir hoffen, dass dabei zumindest Folgendes deutlich wird: Diese Inszenierung arbeitet sich am Werk Wagners ab und benutzt es nicht für fremde Zwecke. Sie betreibt keine Dekonstruktion sondern ist der Versuch, entscheidende Fragen des Lebens und der Kunst, die schon in diesem frühen Werk Wagners gestellt werden, für die Gegenwart anschlussfähig zu machen. Damit soll einer Musealisierung Wagners entgegengewirkt werden.
1. Warum ist die Venus schwanger? Und warum dauert ihre Schwangerschaft so lange?
Eine der Quellen, die Wagner im Bezug auf den Tannhäuser inspirierte, war Heinrich Heines Essay Elementargeister, in dem der Dichter beschreibt, wie im Frühmittelalter die alten Religionen vom Christentum verdrängt wurden. Heine unterscheidet nicht sonderlich genau zwischen dem germanischen Vielgötterglauben und der antiken Götterwelt. Er zeigt aber, dass die naturverbundenen heidnischen Gottheiten verteufelt wurden, wo man sie nicht umdeuten und ins Christentum integrieren konnte. Wagners Venus, die im Hörselberg wohnt, ist eine solche verdrängte Gottheit, die zur teuflischen Verführerin stilisiert wurde. „Frau Venus“ hatte nämlich ursprünglich noch eine mildtätige Seite: sie ist „Frau Holda“, die germanische Göttin der Fruchtbarkeit, deren Zauber die Felder im Frühling ergrünen lässt. (Die Gebrüder Grimm nennen sie „Frau Holle“, weshalb es im Baumgartens Venusberg gelegentlich schneit.) Wagner thematisierte die gespaltene Erscheinungsform der Holda-Venus explizit in dem Lied des Hirtenjungen: „Frau Holda kam aus dem Berg hervor, / zu ziehen durch Fluren und Auen [...] da strahlte warm die Sonnen, / der Mai, der Mai war kommen.“
Was läge also näher, als die Venus schwanger sein zu lassen? Die Schwangerschaft ist der letzte Tropfen, der das Fass des reizüberfluteten Tannhäuser zum Überlaufen bringt. Im Epizentrum des Exzesses auch noch für eine schwangere Frau zu sorgen, das ist „Zuviel, zuviel!“. Das könnte auch endlich einmal eine schlüssige Erklärung für die kleinbürgerlichen Verlustängste der Wagnerschen Venus sein, die so gar nicht zu ihrem Status als Gottheit passen. Venus nimmt als Schwangere zudem eine deutlich gegensätzlichere Position zu den Wartburg-Rittern ein als bisher. Deren Hohe Minne würde, wenn konsequent durchgeführt, auf Dauer „die Welt versiegen“ lassen, wie Tannhäuser sagt. Venus als Schwangere hingegen betont nicht nur die lebensspendende Macht des Eros sondern auch den Kreislauf des Lebens, das Werden und Vergehen, als unleugbare Grundlage der Kunst. Deshalb ist die Venus auch beim Sängerkrieg im zweiten Akt anwesend, von den Rittern nur unwillig geduldet.
Warum Venus so lange schwanger ist? Hierfür bieten sich zwei alternative Erklärungen an: Erstens, Venus ist eine mythologische Gestalt, und bei solchen können Schwangerschaften ungleich länger dauern als bei Menschen – man denke etwa an Parsifals Mutter, die nach einigen Darstellungen sogar zwölf Jahre schwanger gewesen sein soll. Zweitens, Joep van Lieshouts Bühnenbild vereint alle Tannhäuser-Orte in einem. Der Venusberg befindet sich im Keller der Wartburg, und Rom befindet sich in den beiden Boxen linker- und rechterhand. Der Weg des Pilgers führt also nicht nach Italien und ist somit kürzer als bei Wagner gedacht, die Zeit der Handlung dementsprechend gerafft und die pünktliche Niederkunft der Venus parallel zum Fruchtbarkeitswunder des päpstlichen Stabes durchaus möglich.
2. Warum richtet Wolfram sein Abendstern-Lied an die Darstellerin der Venus?
Der im Volksmund sogenannte „Abendstern“ ist der Planet Venus. Dieses astronomische Faktum war schon zu Wagners Zeiten allgemein bekannt. Warum also sollte man Wagners Text nicht ernst nehmen? Wolfram wendet sich, in höchster Agonie angesichts von Elisabeths Tod, an die Venus, um deren Hilfe zu erbitten. In der Not hat sich schon manch einer fremden Göttern zugewandt. Der „holde Abendstern“ (= die Venus) soll Wolframs „sel'gen Engel“ (= Elisabeth) auf dem Weg aus „dem Tal der Erden“ grüßen, ihr folglich sicheres Geleit ins Jenseits geben. Dass Elisabeth und Venus bei aller Gegensätzlichkeit eine Ähnlichkeit in ihrer Fixierung auf Tannhäuser besitzen, ist ein Hauptmerkmal von Wagners Personenzeichnung.
3. Warum geht Elisabeth ins Gas? Und Wolfram hält auch noch die Tür zu?!
Die Beantwortung der Frage, wie man Elisabeths Tod inszeniert, orientiert sich in diesem Fall am Bühnenbild. Elisabeths Körper wird, indem sie in den Biogas-Behälter geht, Teil des Kreislaufes von Energie, Nahrung und Alkohol, den Joep van Lieshout auf die Bühne bringt. Über diese lebenserhaltenden Maschinen definiert sich die Wartburg-Gesellschaft, Elisabeths Tod wird somit als systemerhaltender Akt gezeigt. Die totalitären Untertöne, die hierbei mitschwingen, sind durchaus intendiert, denn ohne das Regulativ des chaotischen Venusberges wäre die Wartburg nichts als eine unmenschliche Maschine.
Sebastian Baumgarten geht allerdings mit einem Augenzwinkern zu Werke. Elisabeth verschwindet nämlich nicht im Biogas-Tank, sondern - wie jeder gute Landwirt weiß – auf die Wartungsplattform desselben. Außerdem tritt sie am Ende nochmals auf als Teil ihres Trauerzuges, der übrigens keinen Sarg enthält. Dann ist Elisabeth allerdings zur Ikone erstarrt, die Tannhäusers Bitten nicht mehr wahrnehmen kann. Als „Heilige Elisabeth„ ist sie dem Leben entrückt.
Wolfram seinerseits hält die Wartungstür des Gastanks zu, weil er seiner These aus dem Sängerwettstreit treu bleibt, dass die Liebe stets unerfülltes Begehren bleiben muss: „Du nahst als Gottgesandte, / ich folg' aus holder Fern', – / so führst du in die Lande, / wo ewig strahlt dein Stern.“ Nur die unerfüllte Liebe währt ewig. Als Tannhäuser nicht mit den begnadigten Pilgern aus Rom zurückkehrt, gäbe es vielleicht eine Chance für Wolfram, Elisabeths Zuneigung zu gewinnen. Er entscheidet sich jedoch bewusst dagegen, indem er Elisabeths Todeswunsch, beziehungsweise ihre Stilisierung zur Heiligen fördert: „Elisabeth, dürft ich dich nicht geleiten?“
4. Was bedeuten die angeblich „sinnfreien“ Überschriften im Sängerkrieg?
Der Sängerkrieg auf der Wartburg ist mehr als nur ein Gesangswettbewerb, den man heutzutage gern als „Deutschland sucht den Superstar“ inszeniert. Es handelt sich vielmehr um ein philosophisches Fachgespräch mit verteilten Rollen. Wie einst bei Platons Symposion soll „das Wesen der Liebe“ ergründet werden. Positioniert sich Tannhäuser hier richtig, kann er in die Gesellschaft der Wartburg endgültig wieder aufgenommen werden. Allerdings wird das ohnehin schon sehr komplexe Thema von Wagner noch zusätzlich durch eine eigene Bildsprache verklausuliert. Die Liebe wird als „Wunderbronnen“ besungen, dessen „holdes Klar“ durch Berührung getrübt werden kann – ein Streit um die Bedeutung der körperlichen Liebe entbrennt, in dem Frauen als ferne „Sterne“ verehrt werden. Die verschlüsselte Sprache in Kombination mit der mitreissenden Musik Wagners lässt die einzelnen Standpunkte jedoch schnell verschwimmen, zumal bei aller Bemühung nicht jedes Wort textverständlich gesungen werden kann. Die Video-Kommentare von Chris Kondek fassen die Thesen der einzelnen Sänger schlagwortartig zusammen, um dem Zuhörer das Verständnis und den Überblick zu erleichtern. Die Thesen lauten:
Wolfram: Liebe = ewiges Begehren
Walter: Liebe = Kulturleistung durch Sublimation
Biterolf: Liebe = Lynchjustiz
Tannhäuser: Liebe = Genuss jenseits von Gut und Böse
5. Warum sind Tiere im Venusberg?
Sehr oft wurde der Venusberg als Ort sexueller Ausschweifungen gezeigt, als Bordell, als Pornodreh-Set, als rotes Dreieck mit Ballett-Tänzern drin usw. Dabei ist der sexuelle Rausch nur einer von vielen, das Potenzial des Venusberges reicht jedoch weit tiefer. Essen, Trinken, Alkohol, Drogenkonsum, Sport, Fernsehen, Einkaufen – beinahe alle Tätigkeiten, die als angenehm empfunden werden, lassen sich exzessiv steigern. Der Effekt ist jedoch immer derselbe: die Grenzen des Ichs, die Identität löst sich auf im Rausch, und man wird zeitweilig eins mit der Welt. So kommt es, dass der Alkoholberauschte sich des nachts in der eiskalten Pfütze pudelwohl fühlt. Doch ohne (Selbst-)Bewusstsein regrediert der Mensch zum Tier. Deshalb wird der Venusberg größtenteils von Gestalten bewohnt, deren Kostüme zwischen Mensch und Tier changieren: Kaulquappen, Affen, Raubkatzen, Fische und Vögel. Die Videos unterstützen diese Deutung, indem sie Körperzellen und Kleinstlebewesen zeigen, deren bewusstlose Lebendigkeit jenseits von Schuld und Sühne dem entgrenzenden Exzess des Venusberges nahesteht. Hinter einer solchen Darstellung des Venusberges steht der Wunsch, Tannhäuser aus der veralteten Schmuddelecke einer sexualmoralischen Verfehlung herauszuholen und an die Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts anzuschließen, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen.
6. Warum ist der Venusberg ein Käfig?
In Joep van Lieshouts Bühnenbild ist der Venusberg Teil der Wartburg, er steigt gelegentlich in Form eines Käfigs aus dem Boden auf. Den von hoher Minne träumenden und zugleich hart arbeitenden Bewohnern der Wartburg ist der Venusberg suspekt. Schließlich wird hier mittels exzessiven Geniessens und nicht mittels gestaltender Kraft versucht, den Widerstreit zwischen Ich und Welt aufzulösen. Dass dabei alle Regeln des Anstandes und des guten Geschmacks über den Haufen geworfen werden, macht den Venusberg zur Gefahrenquelle, die man besten einkerkert und im Keller versteckt.
Allerdings sind Venusberg und Wartburg trotz ihrer Gegensätzlichkeit voneinander abhängig. Ohne den Venusberg würde der Gestaltungswille der Wartburg überhand nehmen, Erstarrung und tote Form wären die Folge. Denn im Venusberg, wo ein freies Spiel der Triebe herrscht, wurzeln Kreativität und Fruchtbarkeit, Futter für neue Ideen. Ohne die Wartburg nähme jedoch die A-Sozialität des Venusberges überhand, eine Lebenswelt wie im Dschungel wäre die Folge. Dieses Interdependenz-Verhältnis wird durch die Durchlässigkeit des Venusberg-Käfigs symbolisiert, dessen Gitterstäbe von beiden Seiten durchschritten werden können und der durch Schläuche, Luken und Trichter mit der Wartburg verbunden ist.
7. Wurde die Oper tiefer transponiert, um es den Sängern leichter zu machen?
Nein, die Oper wurde nicht tiefer transponiert. Dazu hätte jemand das gesamte Notenmaterial - Orchesterstimmen, Partitur und Klavierauszug - in eine andere Tonart übertragen müssen, was einen immensen Aufwand und eine untragbare Verfälschung zugleich bedeutet hätte.
8. Warum wurde die Partitur gekürzt? Und an welchen Stellen?
Wagner hat sich nach dem Misserfolg der Dresdner Uraufführung von 1845 sukzessive zu einigen Änderungen, hauptsächlich Kürzungen entschlossen. So wurde Tannhäuser mehrfach und mit wachsendem Erfolg gespielt. Die frühen Dresdner Striche entsprangen nicht allein dem Wunsch, die Sänger zu entlasten und somit die Qualität der Aufführungen zu steigern. Wagner entschloss sich damit auch zu einer Straffung des dramatischen Bogens, zu einer höheren Konzentration des Werkes. Dieser Ansatz kommt sowohl dem Dirigat Thomas Hengelbrocks als auch der Inszenierung Sebastian Baumgartens entgegen, die deshalb zwei der Kürzungen übernahmen.
Im ersten Akt ist die zweite Strophe von Tannhäusers Lied an die Venus gestrichen. Somit entfallen Tannhäusers sehnsüchtige Naturschilderungen, die jedoch im früheren Gespräch mit Venus bereits zur Sprache kommen. Die erste Strophe rückt, Wagners Angaben zufolge, einen Halbton höher an die Stelle der zweiten Strophe, damit der harmonische Anschluss an die letzte Strophe stimmt.
In der großen Ensemble-Szene des zweiten Aktes gibt es einen weiteren Strich, der jedoch keinerlei Text entfallen lässt, weil dieser sich wiederholt. Tannhäuser singt damit einmal weniger „Erbarm Dich mein“. Dies wurde vom künstlerischen Team in Kauf genommen, zum einen, um die Statik der Szene zu mindern, zum anderen, weil in Sebastian Baumgartens Interpretation des Tannhäuser das Drama über eine mögliche Erlösung im Jenseits in den Hintergrund tritt, zugunsten der Konflikte im Diesseits.
9. Was soll die Biogasanlage?
Die Biogas-Anlage macht nur einen Teil des Bühnenbildes aus, das eigentlich eine Installation von Joep van Lieshout ist. „Technokrat“ heißt das Kreislaufsystem des holländischen Künstlers, das sich an den wichtigsten menschlichen Bedürfnissen orientiert. Die Biogasanlage – es handelt sich hierbei um die blauen Maschinen – gewinnt Energie aus den Exkrementen der Bewohner. Mit Hilfe dieser Energie wird Nahrung in einem großen Topf gekocht und per handbetriebener Nahrungspumpe verteilt (grüne Maschinen). Energie wird auch für die Destille gebraucht, in der Alkohol gebrannt wird; im Alkoholator hingegen entsteht der Alkohol mittels Gärung und ohne Energiezufuhr (rote Maschinen). Außerdem befinden sich noch Wassertanks, Betten, Arbeitstische und einige kleinere Gerätschaften im Bühnenbild. Es ist eine Welt im Kleinen, eine Kunstinstallation als Modelversuch. Selbst der Venusberg ist als Ort der Triebabfuhr in den Keller der Wartburg integriert, ebenso wie Rom, zwei etwas antiquierte Reinigungsboxen.
10. Was soll der „Alkoholator“?
In Tannhäuser spielt der Exzess eine zentrale Rolle. Einerseits ist da der Venusberg, wo alle möglichen Exzesse, seien sie physischer oder psychischer Natur, denkbar sind. Andererseits finden auch auf der Wartburg Exzesse statt. Wenn sich die Ritter nach dem Eklat im Sängerwettstreit mit gezücktem Schwert auf Tannhäuser stürzen, so ist dies nichts anderes als Lynchmord. Keine noch so schwerwiegende, mit Worten vorgetragene Provokation rechtfertigt postwendend einen Mord.
Alkohol stellt sicherlich die einfachste und effektivste Art dar, den Menschen in einen Rauschzustand zu versetzen, der ihn die Fesseln der Zivilisation, ja sogar des eigenen Ichs vergessen lässt. Im alkoholisierten Zustand sind wir zu gesteigertem sinnlichen Genuss oder eben zu Gewaltausbrüchen fähig. Dass der Alkoholator eine zentrale Stelle im Bühnenbild des Tannhäuser einnimmt, ist also nur folgerichtig. Auf der Wartburg wird der Alkohol hergestellt, weil dazu gestalterische und technische Fähigkeiten notwendig sind. Die Bewohner genießen das Rauschmittel in Maßen, beispielsweise an hohen Festtagen wie dem Sängerwettstreit, wo er die Kreativität der Sänger steigern und die Toleranz des Publikums erhöhen soll – was Tannhäuser ein Stück weit zum Verhängnis wird. Der Venusberg hingegen, die heimliche Lasterhöhle der Wartburg, wird mittels eines Schlauchsystems mit Alkohol versorgt. Hier hat man nicht den Nerv, sich mit der Alkoholherstellung zu beschäftigen, stattdessen wird dieser exzessiv genossen.
Das symbolische Verhältnis von Venusberg und Wartburg, wie es im Tannhäuser angelegt ist, wird in Joep van Lieshouts Installation illustriert, möglicherweise so überdeutlich, dass es sich gerade dadurch vielen Zuschauern verschließt.
Carl Hegemann Janine Ortiz
Tannhäuser zwischen Rausch und Traum
Notizen zum Bayreuther Tannhäuser 2011
Carl Hegemann
„Venusberg und Wartburg sehe ich als etwas sich gegenseitig Bedingendes, gleichzeitig Ausschließendes. Zwei Welten, die nicht komplett unabhängig voneinander zu sehen sind. Sie bedingen sich im gleichen Maße, wie sich sie widersprechen.“ Das ist für Sebastian Baumgarten der Ausgangspunkt seiner Tannhäuser -Inszenierung 2011 in Bayreuth.
Die folgenden Notizen, teils vor teils während der Proben entstanden, reflektieren, was das für Inszenierung bedeuten könnte.
1. Ein furchtbares Verbrechen ward begangen
Das Verbrechen kommt mitten im „Sängerkrieg auf der Wartburg“ ans Licht und soll sofort mittels Lynchjustiz gesühnt werden. Die Schwerter sind schon gezogen. Tannhäuser ist der Verbrecher. Der kurze Prozess, der ihm gemacht werden soll, wird dann, wie bekannt, durch die Intervention der in den Delinquenten verliebten Jungfrau Elisabeth mittels Selbstmorddrohung in einen langen Prozess verwandelt. Tannhäuser muss nach Rom pilgern, Reue zeigen, Buße tun und sich dann von der höchsten Instanz die Vergebung erbitten. Der oberste Richter in Rom aber zeigt sich genauso schockiert wie die christlichen Ritter auf der Wartburg und verweigert die Absolution, und das heißt ewige Verdammnis. Am Ende kann nur Gott selber helfen, der durch ein Wunder das Urteil revidiert. Aber wie so oft bei Wundern, kommt es zu spät. Elisabeth: tot. Tannhäuser: tot. Sie sind an der Unerträglichkeit des Richterspruchs gestorben. In diesem Leben war das Verbrechen nicht zu entsühnen. Und vom anderen wissen wir nichts.
Die Frage ist, um was für ein „furchtbares Verbrechen“ es sich handelte, das einen harmlosen Gesangswettbewerb auf der Wartburg im 13. Jahrhundert, der eigentlich ein Symposion war, dass „der Liebe Wesen“ ergründen sollte, in eine folgenschwere, mörderische Auseinandersetzung verwandelte? Und ob uns das Interessiert? Während die anderen Sänger, einer mittelalterlichen Konvention folgend, die Liebe als das reine, ewig unerfüllte Begehren (Sehnsucht-Wolfram) feiern oder als Sublimation, die niedere Instinkte in hohe Kulturleistungen verwandelt (Tugend-Walter), kann es Tannhäuser nicht lassen, „der Liebe wahrstes Wesen“ im Genuss, im Exzess, in der körperlichen Verschmelzung jenseits von Gut und Böse zu erkennen. Er setzt die niedere Minne aber nicht absolut sondern erklärt ihre Wechselbeziehung. Ohne Sehnsucht keine Erfüllung und ohne Erfüllung keine Sehnsucht: „So, dass mein Sehnen ewig brenne, / lab’ an dem Quell ich ewig mich.“ Er singt sich, getrieben durch die Zuneigung der Jungfrau Elisabeth und durch die ihn umgebende verlogene Vernünftigkeit in einen Rausch und feiert die Liebe als Sünde, die man nicht bereut, und gleichzeitig auch als Fortpflanzungsbedingung, ohne die „wahrlich wohl die Welt versiegte“. Er wirft allen, die etwas anderes behaupten, Ahnungslosigkeit vor und fordert sie auf, es endlich selbst zu probieren, sich auf die erotische Maßlosigkeit einzulassen und in den dafür vorgesehenen „Berg der Venus“ einzuziehen. Diese scheinbare Entgleisung, musikalisch eher konventionell verpackt, ist das ganze furchtbare Verbrechen, das die Verteidiger von „Frauenehr’ und hoher Tugend“ (Lynchjustiz-Biterolf) umstandslos zum Schwert greifen lässt, was man natürlich auch als Kompensation der vorenthaltenen Liebe verstehen kann.
Es fällt heute schwer, das Tannhäuserverbrechen in seiner Tragweite noch ernst zu nehmen. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Menschen eine abgründige und dunkle Seite haben, die sich gelegentlich in unkontrollierten Ausbrüchen Bahn bricht, gelten Lynchjustiz und die Androhung ewiger Verdammnis schon lange nicht mehr als probate Gegenmittel, auch wenn die katholische Eschatologie anders als die protestantische für Hardcore-Sünder bis zum Ende aller Zeiten immer noch keine Gnade sondern Hölle vorsieht. Der Kulminationspunkt dieser Oper scheint obsolet. Auch gute Wagnerfreunde winken ab: Das sei neunzehntes Jahrhundert und nur noch historisch interessant. Man verweist dann zur Legitimation, dass man das Werk trotzdem aufführt, gerne auf die wunderbare eingängige Musik des weitgehend noch als Nummernoper komponierten Werks mit seinen vertrauten, sakralen und volkstümlichen Melodien und der erotischen Grundstimmung. Oder auch kurz auf die Formel: „Sex sells“. So gesehen scheint Tannhäuser zwar eine der erfolgreichsten aber nicht gerade eine der bedeutendsten Opern Wagners zu sein.
Dieses Unbehagen teilte der Komponist wohl auch selbst. Seine berühmte Mitteilung an Cosima, „er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig“, weist darauf hin, ebenso wie seine zahlreichen, teilweise verzweifelten Versuche, den Tannhäuser zu erklären und zu verändern. Offensichtlich ging es ihm um mehr als die Kritik an einer katholischen Verhärtung im Vorfeld der Reformation.
Die „Werkstatt Bayreuth“ sollte sich also nicht damit begnügen, mit dem Tannhäuser einfach nur „gehobene Unterhaltung, möglichst auf Weltniveau“ für Festspielzwecke zu liefern. Sie muss das Risiko eingehen, den Stoff von einer strukturell anderen Seite her zu betrachten, die ihn nicht auf die Auseinandersetzung mit einer veralteten Sexualmoral reduziert, die, wie man etwa an Heinrich Heines ironischer Darstellung der Tannhäuser-Legende von 1836 sehen kann, sogar schon zur Zeit der Entstehung von Wagners Oper für aufgeklärte Geister keine Bedeutung mehr hatte.
2. Dionysos und Apoll
Die Konflikte im Tannhäuser waren für Wagner große Konflikte. Jenseits aller historischen Kontingenz werden Fragen aufgeworfen, die „keiner anderen Behandlung als nur der musikalischen fähig sind“. Sie überschreiten die Möglichkeiten des Sprechtheaters. Was das für Konflikte und Fragen sind, kann man in Friedrich Nietzsches 1872 erschienenem Buch Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik nachlesen, das sich passagenweise wie eine Überschreibung von Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen liest.
Nietzsche, der schon als Schüler 1862 begonnen hatte, sich mit Schillers in diesen Briefen entfalteten ästhetischen Theorie zu beschäftigen, veröffentlichte 10 Jahre später seine eigene. Aber was heißt seine eigene? Sie ist durch und durch von Wagner inspiriert, den Nietzsche damals seinen „Mystagogen in den Geheimlehren der Kunst und des Lebens„ nannte. Nietzsche macht eigentlich nicht viel mehr, als ein paar offensichtliche Konsequenzen aus Schillers ästhetischer Theorie zu ziehen und sie im Sinne Wagners zu radikalisieren. Er übermalt Schillers Konstrukt aus „Stofftrieb“ und „Formtrieb“ mit den von Wagner übernommenen Chiffren „Dionysos“ und „Apoll“. Den Stofftrieb verbindet er mit dem Dionysischen und steigert ihn bis zur „dionysischen Barbarei“, zur puren selbstzerstörerischen Lebendigkeit, wie man sie zum Beispiel unter starkem Alkoholeinfluss, im Drogen- und auch im Liebesrausch erfahren kann. Der dionysische Mensch möchte ins Paradies zurück, indem er sich singend und tanzend solange im Dreck wälzt, bis er sich von diesem nicht mehr unterscheidet und so im Rausch die verlorengegangene Einheit mit dem Universum wiederherstellt. Er fürchtet nicht den Tod, sondern akzeptiert sein Eintreten.
Schillers „Formtrieb“, der uns vor solchem Exzess bewahren soll, wird in Nietzsches Überschreibung zum Apollinischen, zur „unleiblichen Vergeistigung“, zum Traum, in dem die Menschen sich eine schöne Welt sozusagen halluzinieren, um sie planend und handelnd zu verwirklichen. Die apollinischen Menschen erlangen die Einheit nicht durch Assimilierung an den Dreck sondern durch ihre Träume und Taten, in denen die schöne Welt, wenn auch nur als Einbildung oder Ideologie, als Wille und Vorstellung existiert.
In Nietzsches an Wagner orientierter Überschreibung versuchen die Menschen sich somit auf zweierlei Weise der grundlegenden Zwiespältigkeit und Zerrissenheit des Lebens zu entziehen: dionysisch, indem sie sich mit Dreck und Sterblichkeit identifizieren und rauschhaft alles Unangenehme ignorieren. Oder apollinisch, indem sie sich eine schöne Welt erträumen, um sich über den Dreck und die eigene Kreatürlichkeit zu erheben. Aber auch dieser apollinisch-erhabene Weg, das weiß Nietzsche so gut wie Schiller, führt für sich genommen zu nichts, ist tote Form. Das Dionysische und das Apollinische müssen sich gegenseitig durchdringen, weil keins ohne das andere funktioniert. Dionysisches und Apollinisches stehen im Gegensatz, aber sie bedingen auch einander. Die Spannung, die aus diesem Widerspruch resultiert, findet Nietzsche in den griechischen Tragödien gestaltet – und im Musiktheater Richard Wagners vollkommen verwirklicht.
Wenn man Tannhäuser vor diesem Hintergrund betrachtet, wird sofort klar, dass der Venusberg als Ort des Exzesses dionysisch konnotiert ist und die Wartburg als Ort der Vergeistigung apollinisch. Der Gegensatz im Tannhäuser wird also strukturell – es ist ein Gegensatz, der unabhängig von zufälligen religiösen oder moralischen Motiven dieser „großen romantischen Oper“ zugrunde liegt. Man sieht die Unvermeidbarkeit des Konflikts, in dem Tannhäuser und Elisabeth (und letztlich alle andern) sich befinden. Der Sänger und Mensch Tannhäuser kann weder auf das Dionysische verzichten, denn dann müsste jeder lebendige Impuls und damit „die Welt versiegen“, noch auf die apollinische Ordnung, denn sonst verschwände man in einer für Menschen unerträglichen Entgrenzung. Tannhäuser ist „dem Wechsel untertan“, er weiß um die Abhängigkeit der einen Welt von der anderen. Die Wartburg-Ritter und der Entsühnungsort Rom eigenen sich nicht als Vermittlungsinstanz der beiden Welten, sie gehen davon aus, dass es nur ein Entweder/Oder gibt: Wartburg oder Venusberg, Himmel oder Hölle. Dieses manichäische Modell ist unbrauchbar und letztlich tödlich. Die Vermittlung beider ist genauso unmöglich wie die der Verzicht auf eines. Beides hängt von einander ab und schließt sich gleichzeitig aus. Der Konflikt, der aus diesem Paradox entsteht, wird in Tannhäuser exemplarisch vorgeführt – und dieser Konflikt ist auch heute noch konstitutiv für unser Leben: die tägliche Frage heißt, wie bekommen wir unsere vorsubjektiven Kräfte und Impulse, buchstäblich das A-Soziale mit unseren subjektiven Plänen und Träumen (in sozialen und kommunikativen Zusammenhängen) zusammen. Und die Antwort lautet immer wieder: eigentlich gar nicht. Denn der Gegensatz beider macht unser Leben aus. Nur in der Kunst und namentlich in der Musik ist der Gegensatz manchmal weg. In der ästhetischen Welt des freien Spiels erscheinen Dionysisches und Apollinisches als harmonische Einheit. Besonders in der Musik, die auf apollinische Weise das Dionysische hervorbringt und umgekehrt. Deshalb wird dieser Gegensatz auch am besten im Musiktheater behandelt.
3. Wagners Tribalismus
Nach dem Scheitern der Revolution 1848 und der damit verbundenen Desillusionierung begann Wagner nach Möglichkeiten zu suchen, die Umwälzung aller Verhältnisse, die auf dem Schauplatz der realen geschichtlichen Kämpfe nicht zu erreichen war, wenigstens in der ästhetischen Welt durchzusetzen. In der Kunst, die seit Schiller als „Tochter der Freiheit“ verstanden wird, ist jede Revolution erlaubt, wenn auch nur als Spiel in einer als Scheinwelt ausgewiesenen ästhetischen Sphäre. Das „Kunstwerk der Zukunft“ sollte kunstreligiöses Ereignis, temporäre Eruption, Überwindung der realen Welt, Blick in die Ewigkeit und einmaliges, nicht fixierbares Ereignis sein. Gegen das öde Leben in seiner „modisch polizeilichen Einförmigkeit“ wollte er lockere Assoziationen von ständig wechselnden, nur durch das Bedürfnis zusammengehaltenen Künstlergruppen initiieren, die sich verknüpfen und wieder auflösen, um später in anderen Konstellationen wieder aufeinanderzutreffen.
Diese dem Dionysos verpflichtete Idee wurde, wie bekannt, später mit apollinischen Mitteln verwirklicht und verwässert – von der in Zürich angedachten temporären Bretterbühne hat sich das Bayreuther Festspielhaus jedenfalls gründlich emanzipiert.
5. Temporäre autonome Zonen
Das Atelier van Lieshout (AVL), das der Künstler Joep van Lieshout 1995 in Rotterdam gründete, hat lange nach Wagner und unabhängig von ihm einen ähnlichen Weg genommen. Insofern ist es kein Zufall, dass Joep van Lieshout ein Teil der zeitweisen Assoziation verschiedener Künstler ist, welche die diesjährige Neuinszenierung des Tannhäuser in Bayreuth gestaltet. Er ist zutiefst Tannhäuser-affin.
Van Lieshouts Kunstpraxis erforscht Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens unterhalb oder außerhalb des vertrauten marktwirtschaftlichen Rahmens zwischen Totalitarismus und Selbstorganisation. Das hat nicht nur ästhetische Aspekte sondern auch eine politische Dimension, Der „neue Tribalismus“, der sich jenseits des durch Finanzkrisen gefährdeten Marktes bildet und unabhängig ist von den sich in Auflösung befindenden Systemen sozialer Sicherung, spiegelt sich in van Lieshouts Arbeit wider.
„Mitten unter uns„ behauptet der französische Kulturwissenschaftler Michel Maffesoli, entstehen „Stämme“, „dionysische Kraftansammlungen“. In seinem neuen Buch Les temps revient spricht er von „temporären autonomen Zonen“, in denen sich Menschen von ihrem individuellen Dasein als selbstbestimmte Marktteilnehmer verabschieden und sich in fragmentierten und isolierten Gemeinschaften, wie er schreibt, „auflösen, um zu einem weiter gefassten überindividuellen Selbst zu gelangen, etwa als Stammes-Selbst, Natur-Selbst oder religiöses Selbst.“ Dionysos sei die emblematische Figur dieser Fragmentierung, sagt Maffesoli weiter.
Vieles spricht dafür, dass solche Beobachtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, denn wie sollen Menschen ihr Leben anders als in überschaubaren „Stämmen„ organisieren, wenn die „unsichtbare Hand“ des Marktes nicht mehr funktioniert (Finanzkrisen) und keine gesamtgesellschaftlichen Lösungen in Sicht sind (Ende des Sozialstaats)? Die „Tannhäuser“- Geschichte spielt im 13. Jahrhundert, in einer mittelalterlichen Stammesgesellschaft. Maffesoli ist nicht der Einzige, der die Wiederkehr vergleichbarer Gemeinschaften in unserer Gegenwart konstatiert. Die prä- oder postkapitalistischen vielleicht auch postapokalyptischen Visionen van Lieshouts, die auch sein Bühnenbild zum Tannhäuser 2011 prägen, kann man auch als Reaktion auf solche sich abzeichnenden Veränderungen sehen. Aber alles der Reihe nach.
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Große romantische Oper in drei Akten
Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 19. Oktober 1845 Dresden
Personen
Herrmann, Landgraf von Thüringen (Bass)
Tannhäuser (Tenor)
Wolfram von Eschenbach (Bariton)
Walther von der Vogelweide (Tenor)
Biterolf (Bass)
Heinrich der Schreiber (Tenor)
Reinmar von Zweter (Bass)
Elisabeth, Nichte des Landgrafen (Sopran)
Venus (Sopran)
Ein junger Hirt (Sopran)
Vier Edelknaben (Soprane und Alti)
Handlung
Thüringen, Wartburg und Umgebung, im 13. Jahrhundert.
Erster Akt
Der gefeierte Minnesänger Heinrich von Ofterdingen, genannt Tannhäuser, hat, ohne es zu wissen, die Zuneigung Elisabeths, der Nichte des Landgrafen Hermann, errungen, der auf der Wartburg immer wieder ritterliche Sänger zum Wettstreit versammelt. Doch Tannhäuser ist seit langem verschwunden. Er lebt im Venusberg, von der Göttin der Liebe mit sinnlichen Freuden umgeben. Inzwischen übersättigt davon, sieht er vor seinem inneren Auge die frühere Welt mit ihrer grünen Natur. Immer drängender wird seine Forderung an Venus, ihn ziehen zu lassen („Dir töne Lob! Die Wunder sei'n gepriesen“). Ihre Bitten, dazubleiben, selbst der Zorn der Göttin, die ihm voraussagt, dass er reuig wiederkommen werde, sind vergebens. Als er die heilige Maria anruft, versinkt der Venusberg. Tannhäuser findet sich nahe einer Mariensäule in einem Tal unweit der Wartburg wieder. Ergriffen lauscht er dem Lied eines Hirtenknaben („Frau Holda kam aus dem Berg hervor“). Bald naht mit Hörnerklang die Jagdgesellschaft des Landgrafen. Freudig wird Tannhäuser begrüßt. Eingedenk seines langen Fernbleibens, das er nicht erklären darf, will er sich zurückziehen, doch Wolfram von Eschenbach nennt ihm den Namen Elisabeths und verkündet ihm, dass Tannhäuser ihr Herz gewonnen hatte („Als du in kühnem Sange uns bestrittest“). Daraufhin eilt Tannhäuser begeistert mit den Rittern zur Wartburg.
Zweiter Akt
Seit dem Verschwinden Tannhäusers hat es auf der Wartburg kein Sängerfest gegeben. Nun freut sich Elisabeth auf den Wiedereinzug der Kunst und das Wiedersehen mit dem Geliebten (Arie „Dich teure Halle grüß’ ich wieder“). Tannhäuser tritt ein und wirft sich ihr zu Füßen. Sie kann ihre Liebe nicht länger verbergen (Duett „O Fürstin!“), während Wolfram seine eigene Hoffnung, Elisabeth zu gewinnen, resignierend aufgibt. Der Landgraf tritt ein, Ritter und Gefolgsleute versammeln sich („Einzug der Gäste“; „Freudig begrüßen wir“). Mit gesetzten Worten erklärt der Landgraf die Bedeutung des Sängerfests, das im Zeichen der Rückkehr Tannhäusers steht („Gar viel und schön...“). Das Thema des neuerlichen Wettstreits soll das Wesen der Liebe sein. Wolfram von Eschenbach wurde durch das Los bestimmt, als Erster zu singen. Er preist die Liebe in ernsten ruhigen Worten („Blick' ich umher in diesem edlen Kreise“). Als Nächster besingt Walther von der Vogelweide die Liebe als die reinste Tugend („Den Bronnen, den uns Wolfram nannte“). Beiden Sängern antwortet Tannhäuser mit merklichem Hohn; hat er doch bei Venus eine andere Liebe kennengelernt. Biterolfs groben Worten begegnet Tannhäuser mit scharfem Spott. Noch einmal ergreift Wolfram das Wort und sucht die gereizte Stimmung durch ein Preislied auf die hohe himmlische Liebe („O Himmel, lass dich jetzt erflehen – Dir hohe Liebe“) zu besänftigen. Doch Tannhäuser ist wieder ganz in den Bann der Liebesgöttin geraten und verherrlicht in einem ekstatischen Triumphgesang die sinnliche Liebe („Dir, Göttin der Liebe“). Entsetzt verlassen die Frauen den Saal, nur Elisabeth bleibt wie betäubt in völliger Verstörtheit zurück. Die Ritter dringen mit blanker Waffe auf Tannhäuser ein, da wirft sich Elisabeth zwischen die Streitenden – nur Gott allein habe das Recht, zu strafen. Ihr selbst hat Tannhäuser durch seinen Frevel die tiefste Wunde zugefügt. Sein Unrecht erkennend, fleht Tannhäuser den Himmel um Barmherzigkeit an. Da weist ihm der Landgraf einen Weg zum Heil: Einer Gruppe von Pilgern, die gerade auf dem Weg nach Rom ist, soll er sich anschließen, um auf der Bußfahrt seine Schuld zu sühnen. Erschüttert stürzt Tannhäuser aus dem Saal.
Dritter Akt
Vor dem Bildnis der heiligen Maria findet Wolfram Elisabeth im Gebet versunken („Wohl wusst’ ich hier sie im Gebet zu finden“). Der Gesang der aus Rom heimkehrenden Pilger naht (Chor „Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schau’n“). Voll Angst sucht Elisabeth unter ihnen nach dem einen, den sie so sehnsüchtig erwartet. Da sie ihn nicht findet, sinkt sie noch einmal am Marienbild nieder und bittet mit innigen Worten um Tannhäusers Seelenheil (Gebet „Allmächt’ge Jungfrau, hör’ mein Flehen“). Dann steigt sie, Wolframs Geleit sanft ablehnend, zur Wartburg empor. Während Wolfram wehmütig die Abendstimmung („Wie Todesahnung Dämm’rung deckt die Lande“) und den Abendstern besingt, schleppt sich ein müder einsamer Pilger herbei. Freudig will Wolfram ihn begrüßen, als er Tannhäuser erkennt. Dieser aber weist ihn mit schmerzlicher Geste zurück. Er berichtet Wolfram von all den Mühen seiner Pilgerfahrt. Mehr als alle anderen hat er sich mit Schmerzen und Entbehrungen beladen, um seine Schuld zu sühnen, doch alles war vergebens: Ihm als Einzigem hat der Papst keine Erlösung gewährt. So wenig, wie der Stab in der Hand des Papstes wieder grüne Blätter tragen könne, werde Tannhäuser der ewigen Verdammnis entgehen (Romerzählung „Inbrunst im Herzen“). In immer größere Erregung steigert er sich, ruft laut nach Venus, in deren Reich er für immer zurückkehren will, wie sie ihm prophezeit hat. Und schon scheint sich der Venusberg zu öffnen, lockend erscheint die Göttin der Liebe. Da erprobt Wolfram noch einmal die Kraft des geliebten Namens und ruft Tannhäuser beschwörend den Namen „Elisabeth“ zu. Wehklagend versinkt Venus, während von fern Trauergesänge zu Elisabeths Leichenzug ertönen. Ihren Namen auf den Lippen, stirbt Tannhäuser; seine Seele ist gerettet. Junge Pilger bringen die Nachricht eines Wunders aus Rom: Des Papstes dürren Stab hat der Herr mit frischem Grün geschmückt. Die Ritter und Pilger vereinen sich in Andacht zum Gebet.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:
© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus