Tristan und Isolde
Besetzung 2009
Musikalische Leitung | |
Regie | |
Szenische Leitung der Wiederaufnahme | |
Bühnenbild | |
Kostüme | |
Dramaturgie | |
Chorleitung |
Tristan | |
Marke | |
Isolde | |
Kurwenal | |
Melot | |
Brangäne | |
Ein Hirt | |
Ein Steuermann | |
Junger Seemann |
Von Christoph Marthaler, Anna Viebrock und Malte Ubenauf
Gedanken zur Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“, 2005
«Man ist allein mit allem was man liebt.»
(Novalis)
Wenn der Faden einer Glühbirne zerspringt, ein Streichholz verglimmt oder ein Himmelskörper beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht, dann werden individuelle Lebensdauern sichtbar. Im Augenblick des Verlöschens glimmen die Objekte ein letztes Mal hell auf und bündeln alle verbliebene Energie in ein finales, verschwenderisches Lebenszeichen. Es ist ein Zeichen für die Unausweichlichkeit schlechthin: Alles was glüht, ist zum Verglühen verurteilt. Lediglich die Anlässe des Verlöschens sind variabel. Unabhängig davon, ob das endgültige Verglühen auf langwierigen Verschleiss oder eine Kurzschlussreaktion zurückzuführen ist: die dem Verlöschen unmittelbar vorausgehenden Zeiträume sind solche, in denen komplexe Systeme ins Ungleichgewicht geraten. Was sich dem melancholischen Beobachter als einsamer Sterbeprozess darstellt, ist - mikroskopisch betrachtet - ein Kollaps unzähliger chemischer und physikalischer Funktionszusammenhänge. Noch komplizierter wird es, wenn menschliches Bewusstsein das Spektrum der natürlichen Auslöschungsvorgänge um den Faktor der persönlichen Entscheidung bereichert. In jenem Moment, in welchem Isolde ihr Schwert sinken lässt und den todkranken «Tantris» verschont, hat das mitleidige und liebende Bewusstsein alle lebenserhaltenden Ordnungsmechanismen aufgehoben. Was zunächst wie eine Ahnung im Raum steht, wird durch den Austausch der Gifte unumkehrbar konkretisiert. Während Tristan und Isolde sicheren Boden verlassen und auf unruhigem Element nach Kornwall übersetzen, erleiden sie eine folgenschwere Liebesvergiftung. Von diesem Moment an gelten die tödlichen Bedingungen des Verlangens: Verneinung des Lebenswillens als Verewigung des Liebeswillens. Die Überfülle an toxischer Energie und der alles beherrschende Wunsch, sich an den anderen zu verlieren, setzt eine chaotische Kettenreaktion in Gang, die nicht nur die Liebenden selbst, sondern ein ganzes auf Kontinuität ausgerichtetes System zum Verglühen bringt: Zeitgleich mit Tristan und Isolde erleiden König Marke, Kurwenal, Brangäne und Melot die unumkehrbare Auflösung aller Zuordnungen. Jeder Einzelne von ihnen erfährt den Verlust des ihm zugedachten gesellschaftlichen Bindeglieds und vereinzelt in aller Öffentlichkeit. Folgerichtig verliert spätestens im Moment der Aufdeckung des Verrats auch die Zeit ihre ordnende Funktion. Fast scheint es, als werde die lineare Erzählung allmählich von den in sich kreisenden Denkbewegungen der Figuren überlagert und schliesslich eliminiert. Menschen versinken in nicht enden wollenden Selbstgesprächen. Andere verlieren sich in stiller Beobachtung des eigenen Auslöschungsprozesses. In einem an Samuel Beckett erinnernden Endspiel-Tableau geben die Figuren (mehr oder weniger freiwillig) jede Hoffnung auf irdische Erfüllung preis und geraten in Zustände äussert individueller Zeitwahrnehmung. Frei schwebend verschwimmen vor den Augen und Ohren der Verglühenden die Bilder und Klänge aller vergangenen und gegenwärtigen Ereignisse in Gleichzeitigkeit. Das Schiff, der Garten, Kareol – die Aufhebung der Zeitgesetze erzeugt ein simultanes Übereinander von Räumen und Gedanken. Deutlicher noch als in den vorangegangenen Teilen seiner musikdramatischen «Handlung» verdichtet Richard Wagner im dritten Aufzug das Zusammenwirken von «unendlicher Melodie» und den ins Unüberschaubare reichenden Tempo- bzw. Taktwechseln zu einer von jeder linearen Zeitlichkeit befreiten Szenerie. Wenn auf einmal wie im Zeitraffer gleich mehrere Schiffe aus dem Nichts auftauchen, anlegen und ihre Passagiere ausspucken, so erscheint diese plötzliche Ereignisdichte absurd angesichts der im Zeitlupentempo voranschreitenden Todes- und Sehnsuchtsphantasien des verwundeten Tristan. Das zeitlose Nebeneinander der im Verglühen begriffenen Figuren findet seinen Höhepunkt, wenn Isolde am Ende des dritten Aufzugs den bereits verstorbenen Tristan auffindet. Dessen Todesegoismus macht das erhoffte gemeinsame Verlöschen zunichte: «Tristan ist im dritten Akt nicht aus Todesangst verzweifelt; verzweifeln lässt ihn, dass er ohne Isolde nicht sterben kann und zu ewiger Sehnsucht verdammt ist – er erwartet ängstlich ihre Ankunft, damit er sterben kann»*. Tristan hat alleine das Tor zum Wahnfriedhof aufgestossen und es bleibt offen, wann und wie Isolde ihm dorthin tatsächlich folgen kann. Wut und Enttäuschung über den vorzeitigen Tod der Liebe münden in einer von vielen Fragezeichen durchdrungenen Abschiedsrede: «Soll ich atmen / soll ich lauschen? / Soll ich schlürfen / untertauchen? / Süß in Düften / mich verhauchen?» Eine kaum zu überhörende Hilflosigkeit schwingt in diesen Worten mit. Das gemeinsame Verglühen aus liebendem Verlangen ist gescheitert und so ist Isoldes viel beschriebener «Liebestod» wohl vor allem eine Todessehnsucht aus Mangel an Alternativen. Ob sie in Erfüllung geht, steht in den seltsam fluoreszierenden Sternen.
* aus: Slavoj Zizek, «Der zweite Tod der Oper», Berlin 2003
Tristan und Isolde
Handlung in drei Aufzügen
Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 10. Juni 1865 München
Personen
Tristan (Tenor)
König Marke (Bass)
Isolde (Sopran)
Kurwenal (Bariton)
Melot (Tenor/Bariton)
Brangäne (Mezzosopran)
Ein Hirt (Tenor)
Ein Steuermann (Bariton)
Ein junger Seemann (Tenor)
Handlung
Tristans Schiff auf der Fahrt von Irland nach Cornwall, Markes Burg in Cornwall, Tristans Burg in der Bretagne, frühes Mittelalter.
Vorgeschichte
Einst war die irische Königstochter Isolde mit Morold verlobt gewesen, den Tristan erschlagen hatte, als Morold nach Cornwall kam, um bei König Marke Tribut zu holen. Tristan, Markes Neffe und treuester Gefolgsmann, hatte statt des Tributs das abgeschlagene Haupt Morolds nach Irland zurückgesandt, war jedoch im Kampf auch von Morold, dessen Waffen Isolde vergiftet hatte, verwundet worden. Nur Isolde konnte daher seine Wunde heilen, weshalb Tristan, um unerkannt zu bleiben, unter dem Namen des Spielmanns „Tantris“ mit einem Boot nach Irland fuhr. Isolde pflegte den Verletzten gesund, entdeckte aber an seinem Schwert eine Scharte, die genau einem Splitter entsprach, den sie in Morolds Haupt gefunden hatte. Nun wusste sie, den Mörder des Verlobten vor sich zu sehen, und trat mit dem Schwert vor ihn hin, um Rache zu nehmen. Vor Tristans Blick jedoch wandelte sich ihr Hass in Liebe. Sie ließ das Schwert sinken und ermöglichte ihm unerkannt als Tantris die Heimreise. Kurze Zeit später erschien er jedoch als Tristan wieder in Irland, um Isolde als Braut für König Marke heimzuholen. Nachdem die Versöhnung zwischen den beiden Ländern besiegelt worden war, trat Isolde mit Tristan die Heimfahrt auf seinem Schiff an, um in Cornwall König Markes Gemahlin zu werden. Hier setzt die Handlung der Oper ein.
Erster Aufzug
Auf dem Vorderdeck von Tristans Schiff wartet Isolde mit ihrer Vertrauten Brangäne in furchtbarer innerer Spannung auf den Augenblick, da ihre unheilvolle Bindung an Tristan der erlösenden Sühne zugeführt werden kann. Das unbekümmerte Lied eines jungen Seemanns („Westwärts schweift der Blick“) erscheint ihr wie ein Hohn. Erregt berichtet sie Brangäne von ihren schicksalhaften Begegnungen mit Tristan, nachdem dessen Gefährte Kurwenal ihre Forderung nach einer Aussprache mit grobem Spott beantwortet hat („Wer Kornwalls Kron’“ – „Wehe, ach wehe! Dies zu dulden!“). Isolde entschließt sich, für sich und Tristan einen Todestrank zu bereiten, den ihr die Mutter mitgegeben hat. Sie bittet Tristan zu sich und fordert mit bitter-ironischen Worten Sühne für Morolds Tod. Trotzig reicht ihr Tristan sein Schwert, damit sie ihn töte. Sie aber besteht darauf, mit ihm den Sühnetrank zu leeren. Brangäne hat die Schale bereitet, die Tristan hastig an sich nimmt. Isolde entreißt ihm das Gefäß, sie will mit ihm sterben. Doch Brangäne hat in ihrer Angst um die geliebte Herrin den Todestrank mit einem Liebeselixier vertauscht. Als Tristan und Isolde einander in Erwartung des Todes in die Augen blicken, erfasst sie große Leidenschaft. Ihre Umwelt vergessend, sinken sie einander in die Arme. Kaum bemerken sie die Landung des Schiffs. In der Erkenntnis der Tragik seiner Liebe („O Wonne voller Tücke“) führt Tristan die fast besinnungslose Isolde seinem König zu.
Zweiter Aufzug
Im Garten vor ihrem Gemach wartet Isolde mit Brangäne auf Tristan, während der König zur Jagd gegangen ist. Brangänes Warnungen vor Melot weist sie zurück. Als die letzten Jagdhörner verklingen, löscht sie die Fackel, das Zeichen für den Geliebten. Sogleich kommt Tristan. Jubelnd wirft sie sich in seine Arme („Isolde! Tristan! Geliebter!“). In der Ausweglosigkeit ihrer Lage sehnen sie den Tod herbei und preisen die sie umgebende Nacht („O sink' hernieder, Nacht der Liebe“). Unbeachtet bleiben Brangänes warnende Rufe („Einsam wachend in der Nacht“). Von Melot herbeigeführt, erscheint König Marke und überrascht Tristan und Isolde. Erschüttert muss er erkennen, von seinem treuesten Mann betrogen worden zu sein (Monolog „Tatest du’s wirklich?“). Seine schmerzliche Frage nach dem Grund der Untreue vermag Tristan nicht zu beantworten. Er fragt Isolde, ob sie ihm, dem das Leben nichts mehr bieten kann, in das Reich der Nacht folgen wolle („Dem Land, das Tristan meint“). Als sie sich dazu bereit erklärt, ruft Melot den König wütend zur Rache auf. Tristan dringt mit seinem Schwert auf Melot ein, lässt die Waffe jedoch fallen, als Melot ihm sein Schwert entgegenstreckt. Schwer verwundet sinkt er in Kurwenals Arme.
Dritter Aufzug
Vor seiner Burg Kareol in der Bretagne liegt der tödlich verwundete Tristan in der Obhut seines treuen Kurwenal. Ein Hirt bläst auf der Schalmei eine traurige Weise. Kurwenal hat nach Isolde ausgesandt. Nur sie kann Tristan noch retten. Eine fröhliche Weise soll der Hirt blasen, sobald er Isoldes Schiff erblickt. Doch das Meer bleibt öd und leer. Des Hirten trauriges Lied hat Tristan geweckt („Die alte Weise“). In Fieberfantasien steigert sich sein Sehnen nach Isolde zu großer Qual. Im Wahn erlebt er neuerlich die Liebesleidenschaft und die Sehnsucht nach dem Tod. In wilder Verzweiflung flucht er dem Liebestrank, der sein Schicksal besiegelte („O diese Sonne“). Bewusstlos bricht er zusammen. Wieder erwachend, sieht er gleich einer Vision die über die Wogen herannahende Isolde („Wie sie selig, hehr und milde“).
Da ertönt des Hirten lustige Weise. Isoldes Schiff ist gelandet; mit übermenschlicher Kraft reißt Tristan den Verband von seiner Wunde, wankt der Geliebten entgegen und stirbt in Isoldes Armen. Plötzlich meldet der Hirt ein zweites Schiff. Kurwenal erkennt König Marke und Melot. In furchtbarem Missverstehen verwehrt er ihnen den Eintritt in die Burg. Kurwenal erschlägt den eintretenden Melot und wird daraufhin im Kampf von den Rittern König Markes tödlich verwundet. Erschüttert bleibt der König zurück. Brangäne hat ihm das Geheimnis des Liebestrankes entdeckt, nun wollte er selbst die Liebenden vereinen. Noch einmal erwacht Isolde aus ihrer Ohnmacht und „heftet“, so die Regieanweisung, „das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche“ (Isoldes Liebestod „Mild und leise, wie er lächelt“), bevor sie Tristan ins Reich der Nacht folgt.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:
© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus